Börse

Inflation: „vorübergehendes“ Dilemma – oder?

Lesezeit: 5 min
21.06.2021 12:09
Die Erholung in den USA ist robust. Daher ist es gefährlich, die Inflation zu ignorieren. Die Auffassung der Fed von „vorübergehend“ könnte zu lang sein.
Inflation: „vorübergehendes“ Dilemma – oder?
Wartet die Fed zu lange, bevor sie handelt? (Foto: Pixabay)

Standpunkt von Deborah A. Cunningham, CFA bei Federated Hermes:

Als die Federal Reserve vor einigen Monaten zum ersten Mal den Begriff „transitorisch“ einführte, um die aufkeimende Inflation zu beschreiben, schien dies typischer Fed-Jargon zu sein. Politische Entscheidungsträger haben lange behauptet, dass die bereits vor der Pandemie vorhandenen desinflationären Faktoren (wie Demografie, Globalisierung, Automatisierung) letztendlich jedem aufkommenden Preisdruck entgegenwirken werden. Auf jeden Fall sind sie nach wie vor mehr damit beschäftigt, eine wirtschaftliche Malaise à la Japan zu vermeiden.

Doch wie sich gezeigt hat, ist die Erholung in den USA robust. Daher ist es gefährlich, die Inflation zu ignorieren. Selbst ein vorübergehender Anstieg kann nachhaltige Folgen haben.

Es kommt auf die Definition von „vorübergehend“ an. Niemand erwartet von der Fed, dass sie die Zukunft vorhersagt. Das durchschnittliche Inflationsziel (Wachstum der persönlichen Konsumausgaben von über 2 % für „einige Zeit“ zu tolerieren – mit neuer Tendenz nach oben) lässt vermuten, dass sie einen Zeitraum im Sinn hat. Denn Fakt ist: Dafür muss sie einen Ausgangspunkt wählen. Wie weit wird die Fed also zurückgehen? Wenn sie die Monate kurz vor der Pandemie wählt, dann wird „vorübergehend“ wahrscheinlich kürzer sein, als wenn sie, sagen wir, 2014 wählt.

Schon kochen – oder noch brodeln…

Das macht einen Unterschied, vor allem, wenn die Wirtschaft eher zu kochen als zu brodeln beginnt. Beispiel Arbeitsmarkt: Die Beschäftigung ist immer noch weit von dem Niveau vor der Pandemie entfernt – und die Fed will warten, bis sie heiß läuft, bevor sie handelt. Aber was, wenn die staatlichen Stimuli im Herbst enden? Dann könnte es zu Engpässen kommen – und die Arbeitgeber könnten Schwierigkeiten haben, Stellen adäquat zu besetzen. Die Kosten für einhergehend steigende Löhne werden entweder als Preiserhöhungen an den Markt weitergegeben oder die Margen der Unternehmen schrumpfen. Beides könnte sich negativ auf die Wirtschaft auswirken.

Verbraucher mit Kriegskassen-Zwängen

Vielmehr ist die vorherrschende Meinung, dass die aufgestaute Verbrauchernachfrage bis zum Ende des Sommers erschöpft sein wird. Gleichwohl: Wir halten das nicht für wahrscheinlich. Was stimmt: Viele US-Amerikaner haben sich mit Urlauben eingedeckt, ihre Häuser renoviert und Eintrittskarten für Konzerte, Spiele und andere Unterhaltungsangebote gekauft. Aber sie können nicht alles auf einmal ausgeben. Die persönliche Sparquote ist hoch genug, um viele Monate an Reisen und Aktivitäten zu finanzieren. Von Autos bis hin zu Gebrauchsgütern wie Smartphones: „Save the date“-Anfragen häufen sich, die Nachfrage nach größeren Anschaffungen wird auf die Auffüllung der Lagerbestände warten müssen. Viele Menschen haben eine Kriegskasse, die eine Weile reichen wird.

Möglich ist, dass diese vorübergehende Periode steigender Inflation zu einer, nun ja, wirklichen Periode wird. Die Fed könnte handeln müssen, bevor sie es will. Sie erwägt bereits, ihre monatlichen Käufe von Staatsanleihen zu reduzieren, was in einem unglaublich gestelzten Satz im Protokoll der April-Sitzung erwähnt wurde: „Eine Reihe von Teilnehmern schlug vor, ... dass es irgendwann in den kommenden Sitzungen angebracht sein könnte, mit der Diskussion eines Plans zur Anpassung des Tempos der Wertpapierkäufe zu beginnen.“

Vermögensverwalter und Investoren werden das begrüßen. Eine weitere positive Nachricht: Das Niveau, unter dem das Balance Sheet laut Finanzministerin Janet Yellen liegen muss, wenn die Schuldenobergrenze am 1. August erreicht wird, wird deutlich höher sein als einst angenommen (möglicherweise rund 400 Mrd. US-Dollar gegenüber 150 Mrd. US-Dollar).

Das bedeutet, dass sich das Angebot am Markt kaum reduzieren wird. Aber es ist immer noch viel Geld im Umlauf, das den wenigen Gelegenheiten nachjagt – und die Renditen am vorderen Ende der Zinskurve bleiben niedrig. Insbesondere im steuerbereinigten Bereich. Aber: Das Hauptproblem ist, dass die so genannten Overnight-Märkte, etwa bei Tages- und Termingeldern, immer noch aus dem Gleichgewicht geraten sind. Wir begrüßen daher, dass die Fed nach ihrer jüngsten Sitzung vergangene Woche eine Anhebung der Reverse-REPO-Fazilität im Blick lässt.

Federated Hermes ist ein globaler Investmentmanager mit einem verwalteten Vermögen von mehr als 513 Milliarden Euro (per 31. März 2021). Die Anlagelösungen aus dem Haus umfassen 162 Strategien aus den Bereichen Aktien, Anleihen, alternative/private Märkte, Multi-Asset und Liquiditätsmanagement sowie eine Reihe von separat verwalteten Depots. Mit Hauptsitz in Pittsburgh beschäftigt Federated Hermes mehr als 1.900 Mitarbeiter, unter anderem in London, New York, Boston und weiteren Büros weltweit.

***

Altersvorsorge-neu-gedacht.de ist eine Publikation von Bonnier Business Press Deutschland und ist Ratgeber zu den Themen Vorsorge und Geldanlage.

ANG
Geldanlage
Geldanlage Unicredit und Commerzbank: Die Jagd nach der Übernahme geht weiter
20.12.2024

Die Unicredit intensiviert ihre Übernahmeambitionen der Commerzbank. Die italienische Großbank hat nun rund 28 Prozent der Anteile am...

ANG
Geldanlage
Geldanlage DAX vs. MDAX: Globale Chancen gegen lokale Herausforderungen im deutschen Aktienmarkt
17.12.2024

Der DAX hat in den letzten Wochen Rekordmarken erreicht, während der MDAX mit einem Rückgang von über 25 Prozent zu kämpfen hat. Die...

ANG
Vorsorge
Vorsorge Entwurf der Grünen: Bürgerfonds soll Rente stabilisieren
17.12.2024

Die Grünen setzen auf den Kapitalmarkt zur Stabilisierung der Rentenkasse und wollen Beitragssteigerungen begrenzen. Ein Bürgerfonds soll...

ANG
Vorsorge
Vorsorge Wagenknecht fordert 120 Euro mehr Rente für alle
09.12.2024

BSW-Chefin Sahra Wagenknecht fordert eine sofortige Rentenerhöhung um 120 Euro für alle Rentner in Deutschland. Sie argumentiert, dass...

ANG
Immobilien
Immobilien Immobilienmarkt - Trübe Aussichten für Häuser mit Öl- und Gasheizung
09.12.2024

Die Zukunft des Immobilienmarkts gehört energieeffizienten Gebäuden. Häuser mit Öl- oder Gasheizung verlieren zunehmend an Wert,...

ANG
Börse
Börse Dax knackt nächsten Rekord - erstmals über 20.000 Punkten
03.12.2024

Inmitten globaler Krisen erobert der Leitindex die nächste Rekordmarke, auch Bitcoin und Gold sind begehrt. Wie passt die Euphorie...

ANG
Geldanlage
Geldanlage EZB-Direktorin Schnabel warnt vor zu starken Zinssenkungen in der Eurozone
29.11.2024

Isabel Schnabel, Direktorin der Europäischen Zentralbank (EZB), warnt vor zu drastischen Zinssenkungen in der Eurozone. Sie fordert, die...

ANG
Vorsorge
Vorsorge Später in Rente: Bundesbank-Chef Nagel fordert längere Lebensarbeitszeit
26.11.2024

Bundesbank-Chef Joachim Nagel fordert Reformen angesichts der schwachen deutschen Wirtschaft. Er spricht sich für ein höheres...