Die mehr als 21 Millionen Rentnerinnen und Rentner in Deutschland erhalten zum 1. Juli um 4,57 Prozent steigende Bezüge. Grund für die kräftige Rentenerhöhung seien „der starke Arbeitsmarkt und gute Lohnabschlüsse“, sagte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) am Dienstag in Berlin. Zum ersten Mal gehen die Renten in Ost und West in gleichem Ausmaß in die Höhe. Eine Rente von 1000 Euro steigt damit um 45,70 Euro.
Die Rentenanpassung beruht laut Sozialministerium auf den jüngsten Daten des Statistischen Bundesamtes und der Rentenversicherung. Die Erhöhung fällt stärker aus als prognostiziert. Im Herbst waren Schätzer von einer Rentensteigerung von bundesweit rund 3,5 Prozent im Juli ausgegangen. Heil sprach von einer „guten Nachricht“ für die Rentnerinnen und Rentner.
Heil verwies darauf, dass die Rentenanpassung „deutlich“ über der Inflationsrate liege. Im vergangenen Jahr war die Rentenerhöhung dahinter zurückgeblieben. Im Februar hatte sich die Inflation weiter abgeschwächt. Die Verbraucherpreise lagen noch um 2,5 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats. Bereits in der Vergangenheit seien die Renten im Durchschnitt stärker gestiegen als die Verbraucherpreise, betonte die Präsidentin der Deutschen Rentenversicherung, Gundula Roßbach.
„Ein Meilenstein für unser Land“
2024 liegt die Rentenanpassung im dritten Jahr in Folge oberhalb von vier Prozent. Erstmals fällt sie bundesweit gleich aus. Heil hob hervor: „34 Jahre nach der Deutschen Einheit ist das ein Meilenstein für unser Land.“ 2023 waren die Altersbezüge in den alten und neuen Ländern noch unterschiedlich gestiegen - im Westen um 4,39, im Osten um 5,86 Prozent. Mit dieser Rentenanpassung hatten sich die Renten aber bereits vergangenes Jahr angeglichen - früher als vorgesehen. Grund war, dass die Löhne im Osten zuvor deutlich stärker gestiegen waren als im Westen. Heil: „Arbeit ist in Ost und West mit Blick auf die Rente gleich viel wert.“
Geringere Steigerungen erwartet
Auch künftig dürften die Renten steigen - aber laut aktuellem Rentenversicherungsbericht nicht mehr im Ausmaß dieses Jahres. So geht der Bericht bis 2037 von einer durchschnittlichen Steigerungsrate von 2,6 Prozent pro Jahr aus - insgesamt gut 43 Prozent. Gleichzeitig nimmt der Druck auf die Rentenkasse wegen des Übertritts von Millionen sogenannter Babyboomer in die Rente zu. Laut dem Bericht dürfte das Rentenniveau ohne gesetzliche Eingriffe von derzeit 48,2 Prozent bis auf 45,0 Prozent im Jahr 2037 sinken. Das heißt, die Renten steigen generell nicht mehr so stark wie die Löhne.
Steigende Rentenausgaben erwartet
Heil verwies deshalb auf die Pläne der Koalition. Die Regierung stabilisiere die Rente und entlaste mit dem Generationenkapital künftige Beitragszahler. „Stabile Renten sind kein Luxus, sondern seit Jahrzehnten Grundlage unserer sozialen Marktwirtschaft und Garant für Stabilität und sozialen Frieden“, sagte Heil. Mit ihrer Reform wollen Heil und Finanzminister Christian Lindner (FDP) das Rentenniveau von 48 Prozent für die Zukunft garantieren. DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel forderte eine schnelle Verabschiedung des Gesetzentwurfs: „Ein Rentenniveau von 48 Prozent bringt heutigen wie künftigen Generationen höhere Renten.“
Bis Mitte der 2030er-Jahre will die Regierung zudem mindestens 200 Milliarden Euro aus Bundesmitteln am Kapitalmarkt anlegen. Aus den Erträgen sollen Beitragsanstiege abgedämpft werden. Dennoch haben es Politik und Gesellschaft laut Gesetzentwurf mit deutlich wachsenden Rentenausgaben zu tun. Ohne Reform würden diese Ausgaben demnach bis 2045 von derzeit 372 auf 755 Milliarden Euro steigen - durch das 48-Prozent-Rentenniveau dürften es 800 Milliarden Euro werden. Der Rentenbeitrag würde ohne Geldanlage am Kapitalmarkt von 18,6 Prozent bis 2045 auf 22,7 Prozent steigen. Mit Generationenkapital sollen es dann 22,3 Prozent werden.
Demografie wirkt sich dämpfend aus
Die Lohnsteigerung, die für die bevorstehende Rentenanpassung relevant ist, beträgt laut Ministerium 4,72 Prozent. Sie basiert auf der Lohnentwicklung und der weiteren beitragspflichtigen Entgeltentwicklung der Versicherten. Berücksichtigt wird auch das Verhältnis von Rentenbeziehenden zu Beitragszahlenden. Dies geschieht durch den sogenannten Nachhaltigkeitsfaktor - er wirkt sich bereits demografiebedingt leicht dämpfend auf die Rentenanpassung aus.
Der Linke-Rentenexperte Matthias W. Birkwald forderte, diesen Nachhaltigkeitsfaktor, der auf Wunsch der FDP gelte, aus der Rentenformel zu streichen. Nach Angaben Birkwalds und des Ministeriums muss wegen der Rentendämpfung durch diesen Faktor dieses Jahr die Haltelinie für das Rentenniveau aktiviert werden. Das Gesetz schreibt vor, dass das Niveau bis 2025 nicht unter 48 Prozent sinken darf. Es beschreibt die Entwicklung der Renten im Verhältnis zu den Löhnen. Nun würde das Mindestniveau aber knapp unterschritten, so Heils Beamte. „Daher greift die Niveauschutzklausel und der aktuelle Rentenwert wird so festgesetzt, dass ein Rentenniveau von 48 Prozent erreicht wird.“
Rentenwert steigt deutlich
Damit ergebe sich eine Anhebung des aktuellen Rentenwerts von 37,60 auf 39,32 Euro, erläuterte das Ministerium. So kommt die Rentenanpassung zustande. Denn der Rentenwert gibt an, wie viel ein sogenannter Entgeltpunkt oder Rentenpunkt wert ist. Die Entgeltpunkte sammeln Versicherte über die Jahre: Wer in einem Jahr so viel verdient wie der Durchschnitt im Land, bekommt dafür einen Punkt. Die Zahl der Punkte multipliziert mit dem Rentenwert plus weitere Faktoren ergeben dann die Rente. Für eine Standardrente bei durchschnittlichem Verdienst und 45 Beitragsjahren bedeute die Rentenanpassung nun einen Anstieg um 77,40 Euro, rechnet das Ministerium vor.
Die Vorsitzende des Bündnisses Sahra Wagenknecht verwies auf den Kaufkraftverlust der vergangenen Jahre. Die Rentenerhöhung sei für die Rentnerinnen und Rentner trotz ihrer Höhe eine Enttäuschung, „denn Lebensmittel und Energie haben sich in den letzten Jahren extrem verteuert“, sagte Wagenknecht der Deutschen Presse-Agentur. Der Grünen-Rentenexperte Markus Kurth verwies darauf, dass ein dauerhaft stabiles Rentenniveaus nur möglich sei, „wenn das Erwerbspersonenpotential voll ausgeschöpft wird“. (dpa)