Börse

Staatsschuldentilgung: Die Zukunft einer Illusion?

Lesezeit: 3 min
08.12.2020 18:27  Aktualisiert: 08.12.2020 18:27
Die Coronakrise hat die Staatsverschuldung beschleunigt. In der Vergangenheit wurden nicht mehr zu tragende Schulden entweder durch eine Pleite oder durch Inflation getilgt. Trotz der Unsummen an Schulden lässt kein Anzeichen des Misstrauens die Zinssätze steigen – ganz im Gegenteil.
Staatsschuldentilgung: Die Zukunft einer Illusion?
Viele Staaten sind so hoch verschuldet, dass sie mit leeren Händen dastehen würden. Doch ein Großteil der Schulden kann auf unbestimmte Zeit von den Zentralbanken getragen werden. (Foto: Pixabay)

Analyse von Olivier de Berranger, CIO bei LFDE:

Als Sigmund Freud vor bald 100 Jahren „Die Zukunft einer Illusion“ veröffentlichte, befasste er sich nicht mit einer unserer althergebrachten Illusionen: dem Fehler, an die Rückzahlung der Schulden – zumindest der Staatsschulden – zu glauben. Gleich, welche Anstrengungen die Staaten zur Aufrechterhaltung dieser Illusion unternehmen, stößt sie dennoch auf eine Wirklichkeit, die sie zusehends untergräbt. Ihre Tage könnten gezählt sein.

Die Coronakrise hat diese Entwicklung deutlich beschleunigt. Die Narbe, die das Virus in den Staatshaushalten hinterließ, ist so groß, dass die Schulden der meisten westlichen Länder jäh um 20 % ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP) geklettert sind. So dürften die Schulden Frankreichs in Kürze 120 % des BIP erreichen, in den USA 115 % und in Japan sogar rund 250 %. Wie ist angesichts dessen auf eine Rückzahlung zu hoffen? Es bedürfte eines wirtschaftlichen Wunders oder einer galoppierenden Inflation. Wozu außerdem zurückzahlen? Trotz der Unsummen an Schulden lässt kein Anzeichen des Misstrauens die Zinssätze steigen – ganz im Gegenteil. Die Zentralbanken tätigen unablässig Wertpapierkäufe, ohne dass ihre Glaubwürdigkeit Schaden nimmt. Belegt wird dies durch die relative Stabilität der Wechselkurse.

Auch im politischen Diskurs erhält die Illusion einer künftigen Rückzahlung Risse. So sagte David Sassoli, der Präsident des Europäischen Parlaments, kürzlich, dass es in Bezug auf Covid-Schulden „kein Tabu geben dürfe“, und griff dabei ganz beiläufig ein anderes Thema Freuds auf. Zwar können die traditionellen Hüter des Tempels der Illusionen derlei Äußerungen nicht ertragen, doch es lässt sich feststellen, dass dieser Gedanke nach ganz oben durchdringt.

Inflation und Staatspleiten sind keine Lösung

In der Vergangenheit wurden nicht mehr zu tragende Schulden entweder durch eine Pleite oder durch Inflation getilgt. Der erste Weg ist allerdings zu drastisch, und der zweite zeichnet sich noch nicht ab. Es gilt also, anders vorzugehen und sie wortlos zu tilgen – eine Art „Sterbehilfe“ für die Schulden. Die erste Lösung besteht darin, sie wie derzeit bis ins Unendliche mit minimalen Zinssätzen zu refinanzieren. Sogar mit Zinssätzen, die den Schuldner bereichern, wenn sie negativ sind, wie dies bei den Zinssätzen in Europa größtenteils zutrifft. Die zweite Lösung schließt die erste nicht aus: Ein Großteil der Schulden kann auf unbestimmte Zeit von den Zentralbanken getragen werden. Ohne Erfordernis eines offiziellen „Jubeljahres“ zum rituellen Erlass der Schulden. Wir treten in ein „schleichendes Jubeljahr“ ein, das jedermann gerecht wird, abgesehen von Banken und Anleiheninhabern. Doch Letztere können durch die Verteuerung, die hierdurch bei anderen Anlagen wie z.B. Aktien und Immobilien ausgelöst wird, entschädigt werden. Diese „Sterbehilfe“ für Schulden betrifft nicht die Sparer, sofern sie ein Mindestmaß an Volatilität hinnehmen.

Während Frankreich Valéry Giscard d’Estaing die letzte Ehre erweist, der als ehemaliger französischer Staatspräsident eine ununterbrochene Defizitphase für den Staat einleitete, könnte der Fortgang des politischen Diskurses über die Schulden wie ein Teil seines unfreiwilligen Erbes erscheinen. War es letztlich kein guter Einfall, die Defizite als erster laufen zu lassen, wenn sie ja doch nicht zurückgezahlt werden müssen? Kann der „Mann im Soll“, d. h. der „Mann der Schulden“, wie ihn sein Opponent François Mitterrand bei der Präsidentschaftsdebatte 1981 bezeichnete, dieses ausufernde Soll nicht auf seiner Habenseite verbuchen?

Sorgfältig ausgewählte Investments entscheidend

In jedem Fall können die Sparer und Anleger beruhigt sein: Anlagen mit echtem Wert werden von etwaigen Manipulationen an den Staatsschulden nicht nachhaltig betroffen sein. Die Anleihen solider Unternehmen, die Aktien nutzbringender Unternehmen und brauchbare Immobilien werden, sofern gut ausgewählt, ihre Attraktivität nicht verlieren – sie könnten sogar davon profitieren. Nicht alles bricht zusammen, wenn einige Illusionen platzen. Man gewinnt ganz im Gegenteil an Scharfsinn und bisweilen auch an Kaufkraft.

Die Fondsgesellschaft LFDE wurde 1991 in Frankreich gegründet und konzentriert sich auf Investments in europäische und internationale börsennotierte Unternehmen. LFDE ist in Deutschland, Spanien, Italien, der Schweiz und in den Benelux-Ländern vertreten und verwaltet zum 31.12.2019 Vermögen in Höhe von rund 10 Milliarden Euro.

***

Altersvorsorge-neu-gedacht.de ist eine Publikation von Bonnier Business Press Deutschland und ist Ratgeber zu den Themen Vorsorge und Geldanlage.

ANG
Geldanlage
Geldanlage Börse Frankfurt-News: ETFs: Jetzt "America first"
01.07.2025

Lieber europäische als US-amerikanische Aktien? Das ist vorbei. Im Moment kommen US-Werte besser an. Außerdem bleiben Rüstungs-ETFs...

ANG
Vorsorge
Vorsorge Experten fordern: Ältere Menschen besser vor Hitze schützen
01.07.2025

Ältere Menschen sind bei starker Hitze besonders gefährdet. Beim Schutz dieser Gruppe hat Deutschland einer Analyse zufolge deutlichen...

ANG
Vorsorge
Vorsorge Krankenkassen schlagen Alarm: Zusatzbeiträge könnten deutlich steigen
01.07.2025

Die gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) warnen vor Druck zu neuen Beitragserhöhungen ohne eine rasche Bremse für steigende Koste

ANG
Immobilien
Immobilien Wohnen bleibt Luxus: Immobilienpreise steigen weiter deutlich
30.06.2025

Die Preise für Wohnimmobilien in Deutschland sind erneut gestiegen. Laut dem Statistischen Bundesamt lagen die Kaufpreise für Häuser und...

ANG
Börse
Börse Northvolt-Insolvenz: Staatliche Förderung im Fokus des Haushaltsausschusses
24.06.2025

Die Insolvenz des schwedischen Batterieherstellers Northvolt hat nun auch politische Konsequenzen auf Bundesebene: Am Mittwoch befasst sich...

ANG
Geldanlage
Geldanlage Deutschlands herrenlose Konten: Bundesregierung will auf Gelder von Privatkonten zugreifen
24.06.2025

Union und SPD möchten jetzt an die Ersparnisse ran: Guthaben von inaktiven Konten sollen dem Staat zugeschlagen werden, um einen Fonds...

ANG
Vorsorge
Vorsorge Neuer Tarifvertrag stärkt Altersvorsorge für Filmschaffende
23.06.2025

Nach jahrelangen Verhandlungen wurde nun ein entscheidender Fortschritt erzielt: Die Gewerkschaft Verdi, die Schauspielergewerkschaft BFFS...

ANG
Geldanlage
Geldanlage 10.000 Euro investieren: Wie man mit Strategie ein stabiles Anlageportfolio aufbaut
17.06.2025

Mit 10.000 Euro Vermögen starten? Experten raten zu Diversifikation, ETF-Strategien, Anleihen und Zukunftsthemen wie KI, Verteidigung,...