Börse

Wann platzt die Blase der Börsenneulinge?

Lesezeit: 4 min
06.01.2021 18:47  Aktualisiert: 06.01.2021 18:47
Die Summe der im vergangenen Jahr bei Börsengängen vereinnahmten Gelder übersteigt die Marke von 160 Milliarden US-Dollar, was einen neuen Rekord darstellt. Experten halten dies für einen irrationalen Überschwang am IPO-Markt.
Wann platzt die Blase der Börsenneulinge?
Viele Börsengänge sind irrational teuer. (Foto: iStock.com/ Ralf Geithe)
Foto: Ralf Geithe

Analyse von Mark Hawtin, Investment Director für Technologieaktien bei GAM Investments:

Die Unternehmensbewertungen im Segment disruptive Technologien sind insbesondere bei Neuemissionen (Initial Public Offerings, IPOs = Börsengang) teilweise deutlich angespannt. Auch Anfang Dezember ebbte die Welle der Neuemissionen nicht ab. Doordash und Airbnb sind die vorerst letzten namhaften Titel, die der Schwerkraft getrotzt haben: Nicht nur, dass ihre Ausgabekurse höher festgelegt wurden als erwartet – sie verzeichneten am ersten Handelstag auch Kurszuwächse von mehr als 100 Prozent. Bewegungen wie diese rufen Erinnerungen an die Dotcom-Blase aus dem Jahr 2000 hervor. Unseres Erachtens gibt es aktuell klare Anzeichen für einen irrationalen Überschwang am IPO-Markt. Jedoch weisen IPOs und Titel aus dem Bereich Heimarbeit wesentlich angemessenere Bewertungen auf als im Jahr 2000, als (tatsächlich oder gefühlt) alle disruptiven Unternehmen in schwindelerregende Höhen kletterten.

Das aktuelle Umfeld könnte sich in den nächsten zwölf Monaten als durchaus günstig für die Alpha-Generierung erweisen. Obwohl wir seit mehr als 25 Jahren für unsere Kunden in diesen Teil des Marktes investieren, haben wir bislang noch nie eine derartige Diskrepanz zwischen Bewertungen und Erwartungen erlebt. Eine Hysterie, die von der Digitalisierung aller Bereiche – einschließlich des Online-Wertpapierhandels – angeheizt wird, macht den Kauf und Besitz von Aktien noch einfacher. Das Ergebnis: Nach Angaben von The Ascent (Teil von The Motley Fool) werden aktuell Kundenvermögen in Höhe von mehr als 18,4 Billionen USD bei den führenden Online-Maklerunternehmen gehalten. Ein großer Teil dieser Vermögen treibt die Preise dieser „heißen“ Wachstumstitel immer höher – weitgehend oder gänzlich ungeachtet ihrer Bewertungen. IPOs stellen dabei einen großen Teil dar, und nach unserer Ansicht zeigen Doordash und Airbnb deutlich, wie extrem überzogen die mittlerweile erreichten Niveaus sind.

Hype-Zyklus im IPO-Bereich

Der Renaissance IPO ETF verdeutlicht den Hype-Zyklus im IPO-Bereich. Obwohl die Wertentwicklung von IPOs traditionell im Zeitverlauf ziemlich genau jener des S&P 500 Index entspricht, haben sie sich jüngst davon entkoppelt. Noch deutlicher zeigt sich der Effekt, wenn man die Kursbewegungen der enthaltenen Titel am ersten Tag ihres Börsendebüts betrachtet. Der ETF kann die Wertpapiere gemäß Anlagebedingungen frühestens am ersten offiziellen Handelstag sowie in den ersten fünf Tagen nach dem Börsengang kaufen. Das bedeutet, dass die enormen Zeichnungsgewinne am ersten Handelstag in der Abbildung 1 nicht enthalten sind.

Die Abbildung verdeutlicht die potenziell irrationale Aktivität der privaten Anleger, die bei der Zeichnung einer Neuemission leer ausgehen, anschließend an den Börsengang die Preise jedoch undifferenziert in die Höhe treiben.

Laut Bloomberg übersteigt die Summe der im Jahr 2020 bei Börsengängen vereinnahmten Gelder die Marke von 160 Milliarden US-Dollar – das stellt einen neuen Rekord dar. Allein am Tag des Börsengangs von Doordash gab es sechs weitere Neuemissionen, darunter C3.ai, ein Anbieter von künstlicher Intelligenz für Unternehmen (+160% zum Ausgabekurs), die Plattform für Internetwerbung PubMatic (+ 60%) und vier neue Mantelgesellschaften (Special Purpose Acquisition Companies, SPACs), die zwar über viel Liquidität, jedoch noch über keine Anlagen verfügen. Wir sind davon überzeugt, dass sich aktuell auch am SPAC-Markt eine bedenkliche Blase bildet.

Kommt die Dotcom-Blase 2.0?

Im aktuellen Umfeld entwickeln sich die Kurse zahlreicher Bereiche auf besorgniserregende Weise. Da jedoch andererseits zahlreiche Unternehmen angemessen oder sogar günstig bewertet sind, erscheint die Möglichkeit, Alpha zu generieren, beträchtlich. Dadurch unterscheidet sich die aktuelle Situation wesentlich von dem Umfeld, in dem seinerzeit die Internetblase platzte. In Phasen, in denen eine schier wild gewordene Anlegerherde die Aktienkurse bestimmt, dürfte sich jedoch ein durchdachter Ansatz auszahlen, der sich auf die Substanz und das Wertpotenzial von Unternehmen konzentriert, um so Gefahren und Risiken zu vermeiden. Popularität ist nicht gleichbedeutend mit treuhänderischer Verantwortung.

Die Marktkapitalisierung von Tesla (rund 600 Milliarden US-Dollar per 11. Dezember 2020) entspricht dem kumulierten Marktwert aller etablierten Autohersteller. Im Rückschluss würde diese Bewertung bedeuten, dass Tesla entweder die gesamte bisherige Automobilindustrie ersetzen wird oder dass die Elektrofahrzeuge/Batterietechnologie von Tesla zur Entstehung eines völlig neuen, disruptiven und riesigen Segments des Transport- und Energiesektors führen wird. Nach unserer Ansicht lassen sich beide Szenarien kaum mit hinreichenden Argumenten belegen. Viele der großen, viel beachteten Neuemissionen, die unlängst erfolgten, weisen ebenfalls atemberaubende Bewertungen auf. Doordash schloss am Ende seines ersten Handelstages mit einer Marktkapitalisierung von rund 60 Milliarden US-Dollar – das entspricht dem 21-Fachen des Gesamtumsatzes im Jahr 2020. Grubhub, die Nummer eins auf dem US-Markt für Lebensmittellieferungen, wurde im ersten Halbjahr für einen Preis in Höhe des 4-Fachen der Umsätze übernommen und ihr Käufer, Just Eat Takeaway, ist mit dem 5,7-Fachen seines Gesamtumsatzes im Jahr 2020 bewertet. Uber, mit der Sparte Eats ebenfalls ein wichtiger Akteur auf dem Markt, ist mit dem 9-Fachen seiner Umsätze bewertet, die zweifellos unter dem Rückgang des „Ridesharing“ infolge der Covid-19-Pandemie leiden. Im Softwarebereich könnte der Eindruck entstehen, dass Snowflake die Marktführerrolle übernimmt, lag die Bewertung der Aktie nach dem Börsengang doch bei einem astronomischen 175-Fachen seiner Umsätze im Jahr 2020.

Nächste disruptive Welle bietet viel Wertpotenzial

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass in Teilen des Universums der disruptiven Technologien, insbesondere bei den Neuemissionen, die Bewertungen mittlerweile extrem hoch sind, da Privatanleger anscheinend bereit sind, jeden Preis zu zahlen, um Aktien zu erwerben. Wir sind dennoch der Auffassung, dass die nächste Welle disruptiver Themen viel Wertpotenzial bietet, unter anderem in den Bereichen Automatisierung der Informationsverarbeitung, Gesundheitswesen, Industrie, Transport und Fintech. Unseres Erachtens werden wir insbesondere in diesen Segmenten Alpha für unsere Kunden generieren können.

GAM ist eine unabhängige, reine Vermögensverwaltungsgruppe. Per 30. Juni 2020 hat GAM 747 Vollzeitbeschäftigte in 14 Ländern und betreibt Anlagezentren in London, Cambridge, Zürich, Hongkong, New York, Mailand und Lugano.

***

Altersvorsorge-neu-gedacht.de ist eine Publikation von Bonnier Business Press Deutschland und ist Ratgeber zu den Themen Vorsorge und Geldanlage.

ANG
Vorsorge
Vorsorge Rentenerhöhung ab Juli: 3,74 % mehr für über 21 Mio. Bezieher
06.05.2025

Gut 21 Mio. Rentnerinnen und Rentner in Deutschland bekommen ab dem 1. Juli 2025 höhere Bezüge: Die Pensionen werden um 3,74 Prozent...

ANG
Immobilien
Immobilien ImmoScout24-Mutter profitiert weiter vom Wohnraumboom
06.05.2025

Scout24 hat im ersten Quartal erneut von der hohen Nachfrage nach Wohnimmobilien profitiert: Der Umsatz stieg um 16 % auf knapp 158 Mio....

ANG
Geldanlage
Geldanlage Letzte Zuflucht Gold: Das Ende der Dollar-Dominanz?
29.04.2025

Das Vertrauen in den US-Dollar bröckelt – und Gold erlebt eine neue Blüte. Inmitten wachsender Zweifel an der Stabilität von...

ANG
Immobilien
Immobilien Haus am Meer: Diese Küstenorte bieten noch Chancen
29.04.2025

Die Immobilienpreise an der deutschen Nord- und Ostseeküste ziehen vielerorts wieder an. Ein Haus auf Sylt oder Norderney dürften sich...

ANG
Vorsorge
Vorsorge Krankenkassen: Für Reformen nicht auf Kommission warten
28.04.2025

Die gesetzlichen Krankenkassen fordern von der künftigen Bundesregierung umgehende Maßnahmen gegen steigende Sozialbeiträge. Der...

ANG
Börse
Börse DAX-Ausblick: Hält die Erholung an?
28.04.2025

Der weltweite Zollstreit dürfte auch in der kommenden Woche das Geschehen am deutschen Aktienmarkt prägen. "Aktuell ist alles an der...

ANG
Vorsorge
Vorsorge Geldvermögen auf Rekordniveau – aber ungleich verteilt
28.04.2025

Zum Jahresende 2024 erreichte das Geldvermögen der privaten Haushalte in Deutschland laut Bundesbank rund 9.050 Milliarden Euro, ein...

ANG
Vorsorge
Vorsorge Fast die Hälfte für den Staat – und was bleibt für deine Rente?
28.04.2025

Die sogenannte Staatsquote gibt an, wie viel Geld der Staat im Verhältnis zur gesamten Wirtschaftsleistung (Bruttoinlandsprodukt, kurz...