Kommentar von Christoph Frank, Fondsmanager und geschäftsführender Gesellschafter der pfp Advisory GmbH.
Von 2,57 US-Dollar binnen zehn Monaten auf 483 und wieder zurück auf aktuell rund 64 US-Dollar. Plus 18.700 Prozent von April 2020 bis Januar 2021 und danach (bisher) minus 87 Prozent. Und für die Fahnenstange von 20 bis 483 US-Dollar, immerhin auch über 2.300 Prozent plus, brauchte die Gamestop-Aktie gerade einmal elf Handelstage. Wenn ich mir eine Spekulationsblase malen dürfte, sähe sie genau so aus. Nur der restliche Absturz auf ungefähr das Ausgangsniveau und gegebenfalls darunter fehlt noch.
In den vergangenen Tagen ist viel geschrieben worden über diesen „Kampf“ des „Kleinanleger-Flashmob“, der den Hedgefonds ihre Leerverkäufe von Gamestop verleiden wollte. Vom Kampf „David gegen Goliath“ war die Rede, gar von einer Zeitenwende oder vom „Comeback der Privatanleger“. Ich persönlich würde das Ganze nicht so hoch hängen. Zwei Gruppen an den Märkten haben sich gewissermaßen „duelliert“. Zuerst verkalkulierten sich Mitglieder der „Goliath-Gruppe“, nämlich einige Hedgefonds, und kamen im ersten Akt in die Bredouille. Im zweiten Akt, nämlich während des Kurssturzes, kommen nun einige Akteure der „David-Fraktion“ unter die Räder.
Anleger spielen „Reise nach Jerusalem“
Die Privatanleger hatten erkannt, dass Hedgefonds besonders viele Gamestop-Aktien leerverkauft hatten. Ihre Strategie war, den Aktienkurs durch viele Käufe so weit nach oben zu treiben, dass die Hedgefonds kalte Füße bekommen und zur Risikobegrenzung ihre Positionen auflösen würden. Denn der Rohgewinn des Leerverkäufers ist die Differenz zwischen seinem Leerverkaufskurs und dem Kurs, zu dem er das Papier später an der Börse „zurückkaufen“ will.
Steigt der Kurs aber über seinen Leerverkaufskurs, rutscht die Position ins Minus. Und dieser Verlust kann theoretisch unendlich groß werden, in der Realität ein Vielfaches der Einstandsposition betragen, während beim Aktienkauf (ohne Einsatz von Krediten) der maximale Verlust immer auf 100 Prozent bzw. auf das eingesetzte Kapital begrenzt ist, da ein Aktienkurs ja nicht unter null fallen kann.
Diese inhärente Verlustbegrenzung ist der entscheidende und manchmal übersehene Unterschied. Besonders schmerzhaft ist, dass die Leerverkäufer mit ihren Eindeckungskäufen die Kursrally selbst zusätzlich anheizen. Der Effekt verstärkt sich noch, wenn die Anzahl der frei handelbaren Aktien durch viele Leerverkäufe zusätzlich begrenzt ist und jede Kauforder deswegen überproportionale Wirkung entfaltet. Dann kann es zu so genannten „Short Squeezes“ wie bei Gamestop 2020 oder bei Volkswagen 2008 kommen, die im Aktienchart wie eine Fahnenstange aussehen.
Wegen des theoretisch unbegrenzten Verlusts muss jeder Leerverkäufer seine Positionen besonders sorgfältig managen. Offenbar ist das bei den Hedgefonds, die jetzt in Schwierigkeiten geraten sind, aber nicht erfolgt. Wer das Wohl und Wehe eines Fonds davon abhängig macht, dass eine einzelne Wette aufgeht, deren Verlustrisiko unbegrenzt ist, ist meiner Meinung nach nicht weniger ein Zocker als jeder Gamestop-Käufer, der „Reise nach Jerusalem“ spielt.
Wozu es führen kann, wenn wahrscheinlich zutreffende Annahmen (die Gamestop-Aktie ist überbewertet und ein Leerverkauf könnte daher aussichtsreich sein) mit zu aggressiven Leerverkäufen kombiniert werden, konnten erfahrene Investoren beispielsweise im Jahr 1998 beim Hedgefonds LTCM gut beobachten. Die Spekulation auf Zinsunterschiede bei festverzinslichen Wertpapieren war per se eher „langweilig“ und theoretisch unter Mitwirkung zweier Nobelpreisträger gut zu plausibilisieren. Erst die Kombination mit einem Leerverkaufsportfolio, das stark durch Fremdkapital gehebelt wurde, und dem Wissen der „Gegenspieler“, wie anfällig LTCM im Sommer 1998 durch die Russlandkrise geworden war, machte das Gebräu zu einem explosiven Gemisch, das den Fonds unter den Attacken der Gegner kollabieren ließ und das weltweite Finanzsystem an den Rand des Abgrunds brachte.
Das Beispiel LTCM zeigt: Seit jeher werden Risiken an der Börse selbst von hochintelligenten Persönlichkeiten falsch eingeschätzt. Und seit jeher wird an der Börse auch wild gezockt. Letzteres halte ich auch keineswegs für verwerflich. Es passt meines Erachtens perfekt ins Bild, dass der „Börsen-Flashmob“ der Smartphonespiele-Generation mit Gamestop eben eine Computerspielhandelskette als Spekulationsobjekt auserkoren hat und keine Drogeriekette.
Auch wenn diese Art der Börsenbetätigung überhaupt nicht meine Welt ist, bin ich doch der Überzeugung, dass es in einer freien Gesellschaft jeder und jedem erlaubt sein muss, auch an der Börse eigene Fehler zu machen und gegebenfalls aus ihnen zu lernen. Und Akteure, die ihre Investments in erster Linie als „Happening“, Ausdruck von Protest oder als „Kreuzzug gegen Hedgefonds“ oder „das Finanz-Establishment“ sehen, sollten sich ebenfalls nach Herzenslust ausleben dürfen, solange sie keine Gesetze oder Moralvorstellungen verletzen und für die Folgen ihres Handelns selbst einstehen. Im Fall der Gamestop-Blase dürften diese Folgen für viele Privatanleger horrende Verluste sein. Denn die Letzten beißen auch bei Gamestop die Hunde.
Aber wie auch immer: Kleinanleger sollten nicht schlechter behandelt werden als Großanleger, auch von Neo-Brokern nicht. Und selbstverständlich auch nicht besser. Schade wäre es indes, wenn die Gamestop-Spekulationsblase wieder nur all jene bestärken würde, die schon immer geglaubt haben, dass die Aktienmärkte kein Ort des seriösen Investierens sind, sondern ein Tollhaus für Zocker oder eine (Computer-)Spielhalle. Dann hätten die Gamestop-Davids Kleinanlegern wahrlich einen Bärendienst erwiesen.
Zur Person: Christoph Frank ist geschäftsführender Gesellschafter der pfp Advisory GmbH. Gemeinsam mit seinem Partner Roger Peeters steuert der seit über 20 Jahren am deutschen Aktienmarkt aktive Experte den DWS Concept Platow (WKN: DWSK62), einen 2006 aufgelegten und mehrfach ausgezeichneten Stock-Picking-Fonds.