Analyse von Olivier de Berranger, CIO bei LFDE:
Die Erfahrung lehrt, dass man bisweilen ungeahnte Kräfte freisetzt, wenn man mit dem Rücken zur Wand steht. So ist es nicht verwunderlich, dass die USA, die mit dem Rücken zur Schuldenwand stehen, vor kurzem eine Finanzierungsquelle wiederentdeckt haben, die seit Jahren oder gar Jahrzehnten zu versiegen droht: die Körperschaftsteuer. US-Finanzministerin Janet Yellen verkündete jüngst, dass die USA einen breiten, weltweiten Konsens hinsichtlich eines Mindeststeuersatzes für Unternehmen anstreben. Dieser soll 21-28 % für im Inland erzielte Gewinne und mindestens 21 % für im Ausland erzielte Gewinne betragen. Im Vergleich zum geltenden Satz in vielen, insbesondere europäischen, Ländern ist dies moderat. Für die USA jedoch, wo dieser Satz zuletzt kurz nach der Amtseinführung von Donald Trump gesenkt wurde, wäre es eine echte Wende.
Droht die globale Mindeststeuer?
Dass die USA plötzlich ihre Grundhaltung ändern, liegt nicht nur daran, dass sie nun von einem Demokraten regiert werden, sondern an einem wohlverstandenen Eigeninteresse, in einer Zeit, in welcher der Staat (fast) ohne Rücksichtnahme Geld ausgibt. Denn die in den USA gesetzten Konjunkturanreize zur Überwindung der COVID-19-Krise betragen laut IWF fast 27 % des BIP. Dabei ist das Ende noch nicht erreicht: Insbesondere für den Infrastrukturbereich wird gerade ein neues Konjunkturpaket diskutiert, das sich verteilt über acht Jahre auf 2,25 Billionen Dollar belaufen könnte. Vorerst lassen sich diese Ausgaben ohne Weiteres durch Schulden finanzieren, die zu einem großen Teil von der Fed aufgekauft werden. Dies lässt sich jedoch nicht endlos fortsetzen. Sofern sich die US-Wirtschaft auch nur teilweise aufgrund dieser außerordentlichen Anreize erholt, wird die Fed keine Berechtigung mehr haben, derart viele Schulden aufzukaufen.
In diesem Fall gibt es kaum eine Wahl: Wenn eine galoppierende Inflation, die niemand möchte, ausgeschlossen wird, bleiben nur noch Steuererhöhungen. Der Vorteil besteht für die USA darin, dass die meisten Länder in puncto Schulden mit dem Rücken zur Wand stehen. Sie können daher weltweit mit einer umfassenden Zusammenarbeit in Sachen Steuererhöhungen rechnen. Frankreich und Deutschland sind natürlich ihre größten Unterstützer.
Tech- und Gesundheitssektor wären am stärksten betroffen
Welche Folgen hätte dies für die Finanzmärkte? Generell könnten US-Unternehmen nach Steuern dann etwas weniger profitabel sein, was sich wiederum auf ihre Börsenkurse auswirken könnte. Aber nicht alle wären gleichermaßen betroffen: Laut einer Bloomberg-Studie wären Unternehmen aus den Sektoren Technologie und Gesundheit am stärksten betroffen, die Sektoren Energie, Grundstoffe und Basiskonsumgüter hingegen am wenigsten. Large Caps, bei denen der Anteil des Auslandsumsatzes generell höher ist als bei Small Caps, sind stärker betroffen – zumal es sich bei den fünf größten Titeln um Unternehmen aus dem Technologiesektor handelt.
Gleichzeitig könnte der Staat, sofern er sich stärker über Steuern finanziert, weniger Schulden machen. Dies könnte den Anstieg der Zinssätze bremsen. Dieser Faktor ist für Wachstumstitel wie z.B. Technologieaktien vorteilhafter und könnte somit für ein Gleichgewicht bei Value- und Wachstumstiteln sorgen.
Rückkehr zu einer nachhaltigeren Finanzierung
Die Folgen dieser Trendwende werden also vielfältig sein und lassen sich derzeit nicht mit Sicherheit vorhersagen. Mit Ausnahme der wichtigsten Folge: Besser finanziert und weniger abhängig von Schulden könnten die USA zu einer nachhaltigeren Finanzierungsweise zurückfinden. Dies gilt nicht nur für die USA, sondern für einen Großteil der Welt, der diesem Beispiel folgen würde: Der Kampf um Steuersenkungen dürfte für die Staaten, die sich anschließen, weniger destabilisierend sein. Es dürfte zwar auch Ausreißer geben, das hängt aber von ihrer Größe ab: Sofern es sich nur um einige „Steuerparadiese“ handelt, besteht kein Problem. Im Fall von China sieht die Sache anders aus. Denn die USA könnten nicht zulassen, dass China ein Steuerparadies für Unternehmen wird. Zum Glück für sie sieht es derzeit nicht danach aus. Auf lange Sicht könnte sich das allerdings ändern.
Die Fondsgesellschaft LFDE wurde 1991 in Frankreich gegründet und konzentriert sich auf Investments in europäische und internationale börsennotierte Unternehmen. LFDE ist in Deutschland, Spanien, Italien, der Schweiz und in den Benelux-Ländern vertreten und verwaltet zum 31.12.2019 Vermögen in Höhe von rund 10 Milliarden Euro.