Der Bund der Versicherten (BDV) sieht die Krisenfestigkeit vieler deutscher Lebensversicherer kritisch. Fast die Hälfte der 80 untersuchten Unternehmen erreiche die erforderliche Mindestsolvenz nur mithilfe zulässiger Übergangsmaßnahmen oder der Einbeziehung der Kundengelder, hieß es in einer am Donnerstag veröffentlichten gemeinsamen Analyse des BdV und Zielke Research Consult.
Nach der Einführung neuer Kapital- und Aufsichtsregeln (Solvency II) in Europa müssen die Assekuranzen die Öffentlichkeit seit 2017 jährlich darüber informieren, ob sie Extremereignissen wie erheblichen Kursturbulenzen an den Kapitalmärkten oder dramatischen Naturkatastrophen gewachsen sind. Aufschluss über die Lage des Versicherers gibt unter anderem die Solvenzquote. Ein Wert von unter 100 gilt als kritisch. Die Unternehmen können dabei aber Übergangsmaßnahmen in Anspruch nehmen.
Kundengeld als Eigenmittel?
Zudem dürfen sie Kundengelder in Form von noch nicht zugewiesenen Überschüssen als Eigenmittel berücksichtigen. „Diese Möglichkeit sehen wir als problematisch an“, sagte BdV-Chef Axel Kleinlein. Das Geld, das eigentlich den Kunden gehöre, werde zur Solvenzsicherung gezählt. Erstmals wurde in der Analyse daher auch die Solvenz ohne Übergangsmaßnahmen und Kundengelder ermittelt. Diese Hürde würden demnach 42 der 80 untersuchten Lebensversicherer reißen.
Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) bezeichnete die Methodik als willkürlich. „Der BdV stützt seine Aussagen zur Lebensversicherung nicht auf die durch Solvency II gesetzlich vorgegebene, sondern auf eine von Zielke Research Consult selbst ermittelte ,reine‘ Solvenzquote“, kritisierte GDV-Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen. Der Verband teilt weiter mit: „Kein Kunde muss sich Sorgen um seine Lebensversicherung machen. Die garantierten Leistungen sind gesichert.“ Das gehe auch aus Prognoserechnungen der Finanzaufsicht Bafin hervor.
Versicherungsmathematiker erklärten, zwar hätten die Verwerfungen an den Kapitalmärkten infolge der Corona-Krise Spuren bei Versicherern hinterlassen. Die Marktsituation sei aus versicherungsmathematischer Sicht aber weiterhin sehr stabil. Berechnungen „reiner“ Solvenzquoten ohne Berücksichtigung der Übergangsmaßnahmen seien aufsichtsrechtlich keine validen Kennzahlen und „können sogar zu Fehlinterpretationen führen“, teilte die Deutsche Aktuarvereinigung mit. Die Verwendung der Übergangsmaßnahmen sei „das Ergebnis einer sorgfältigen Risikoanalyse und Unternehmensstrategie“.
Lebensversicherer leiden unter der Zinsflaute am Finanzmarkt, die sich in der Corona-Krise verfestigt hat. Die Finanzaufsicht hatte zuletzt rund 20 von 80 Unternehmen unter verschärfter Beobachtung.