Geldanlage

Mehr Spielraum bei der Inflation: Zementiert die EZB das Zinstief im Euroraum?

Lesezeit: 4 min
09.07.2021 08:35  Aktualisiert: 09.07.2021 08:35
Mehr Spielraum – das klingt erst einmal gut. Doch was bedeutet das neue Inflationsziel der Europäischen Zentralbank für Sparer? Volkswirte haben dazu eine klare Meinung.
Mehr Spielraum bei der Inflation: Zementiert die EZB das Zinstief im Euroraum?
Im Euroraum lag die Teuerungsrate seit 2013 oft deutlich unter der Zwei-Prozent-Marke – trotz aller Unternehmungen der EZB. (Foto: iStock.com/claudiodivizia)
Foto: claudiodivizia

Europas Währungshüter verschaffen sich beim Thema Inflation mehr Spielraum und zementieren damit nach Ansicht von Volkswirten das Zinstief im Euroraum. Die Europäische Zentralbank (EZB) strebt künftig für den Währungsraum der 19 Staaten eine jährliche Teuerungsrate von zwei Prozent an, wie die Notenbank am Donnerstag mitteilte.

Das ist zwar etwas höher als die bisher veranschlagten „unter, aber nahe zwei Prozent“. Zugleich jedoch wird die EZB bei ihrem Bestreben, mittelfristig Preisstabilität sicherzustellen, künftig zumindest zeitweise „moderat über dem Zielwert“ liegende Inflationsraten akzeptieren.

Mit einem solchen „symmetrischen“ Inflationsziel ist die Notenbank nicht mehr unmittelbar zum Reagieren gezwungen, sollten die Inflationsraten zeitweilig nach oben oder nach unten von dem prozentualen Ziel abweichen.

Sparer müssen weiterhin mit Negativzinsen rechnen

„Die Europäische Zentralbank verschafft sich mit ihrem neuen Inflationsziel von zwei Prozent mehr Freiraum, um auch bei steigenden Preisen an ihrer extrem expansiven Geldpolitik festhalten zu können“, kommentierte Christian Ossig, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes deutscher Banken (BdB). „Das heißt, Wirtschaft und Sparer im Euroraum werden sich auf absehbare Zeit leider auch weiterhin auf Negativzinsen einstellen müssen.“

Das veränderte Inflationsziel ist das Kernergebnis der internen Überprüfung der geldpolitischen Strategie, welche die seit 1. November 2019 amtierende EZB-Präsidentin Christine Lagarde angestoßen hatte. Eingeflossen sind darin auch Beratungen mit Verbraucherverbänden und Sozialpartnern sowie Bürgerstimmen.Das neue Inflationsziel bedeute keine Verzögerung einer Straffung der Geldpolitik, versicherte Lagarde bei der Vorstellung der Ergebnisse von 18 Monaten Strategiedebatte in Frankfurt. „Wir sind dem Ziel von zwei Prozent verpflichtet.“ Jede dauerhafte signifikante Abweichung von dem Inflationsziel werde die Notenbank nicht tolerieren. Schon bei der nächsten regulären Sitzung des EZB-Rates am 22. Juli will die Notenbank die neue Strategie zugrunde legen.

Lagarde selbst schrieb sich in dem Prozess zudem den Klimaschutz auf die Fahnen. Nun beschloss der EZB-Rat „einen umfassenden Aktionsplan mit einem ehrgeizigen Fahrplan zur weiteren Einbeziehung von Klimaschutzüberlegungen in seinen geldpolitischen Handlungsrahmen“.

Klimawandel wird bei Investitionen berücksichtigt

eim Kauf von Unternehmensanleihen habe die EZB bereits begonnen, „relevante Risiken des Klimawandels“ zu berücksichtigen. Ob Notenbanken umweltpolitische Ziele unterstützen sollten, ist umstritten. Greenpeace forderte erneut, die EZB solle „klimaschädliche Unternehmen“ bei ihren milliardenschweren Anleihenkäufen „ab heute nicht weiter begünstigen“.

Hauptziel der Notenbank ist und bleibt ein ausgewogenes Preisniveau – im Jargon der Währungshüter: Preisstabilität. „Wir haben nur eine Nadel im Kompass. Wir müssen Preisstabilität garantieren“, hatte der frühere EZB-Präsident Jean-Claude Trichet immer wieder betont.

Ist die Inflation zu hoch, verlieren Verbraucher an Kaufkraft und die Währung hat weniger Rückhalt. Stagnieren Preise andererseits oder fallen auf breiter Front, kann das Verbraucher und Unternehmen verleiten, Investitionen aufzuschieben. Denn es könnte ja bald noch günstiger werden. Dieses Abwarten kann die Konjunktur ausbremsen.

Daher sehen Europas Währungshüter Preisstabilität am ehesten gewährleistet, wenn die Preise im Euroraum moderat steigen. Daher wurde ein Inflationsziel mit Abstand zur Nullmarke gewählt. Bei Gründung der EZB im Juni 1998 definierten die Euro-Notenbanken Preisstabilität bei einer jährlichen Teuerungsrate von „unter zwei Prozent“. Im Jahr 2003 präzisierte der EZB-Rat, mittelfristig werde eine Inflation von „unter, aber nahe zwei Prozent“ angestrebt.

Nun also zwei Prozent. Damit reiht sich die EZB ein in den Chor weltweit führender Zentralbanken. Auch die US-Notenbank Fed hatte signalisiert, dass sie es tolerieren würde, wenn die Inflationsraten zeitweise über dieser Zielmarke liegen.

Seit 2013 liegt der Euroraum unter Zielmarke

Im Euroraum lag die Teuerungsrate seit 2013 oft deutlich unter der Zwei-Prozent-Marke. Und das, obwohl die EZB seit Jahren und bis heute gewaltige Summen billiges Geld in die Märkte pumpt und die Zinsen auf Rekordtief hält - beides in der ökonomischen Theorie probate Mittel, um für mehr Inflation zu sorgen. Dennoch dümpelte die Teuerung im Euroraum lange weiter vor sich hin.

Kritiker werfen der EZB daher schon lange vor, sich mit ihrem starren Inflationsziel in eine Sackgasse manövriert zu haben und forderten mehr Flexibilität. Für Sparer jedoch hat dies auch eine Kehrseite: Je mehr Spielraum sich die EZB gibt, umso länger könnte die Notenbank an Null- und Negativzins festhalten.

Das neue Ziel bereite „höheren Inflationsraten den Weg“, meint ZEW-Forscher Friedrich Heinemann. „Weil eine Inflation unter zwei Prozent jetzt als genauso schlecht wie eine Inflation über zwei Prozent gilt, wird es der EZB-Rat noch leichter haben, in den kommenden Jahren eine Fortdauer der extrem lockeren Geldpolitik und der Anleihekäufe zu rechtfertigen.“ Der CDU-Politiker Friedrich Merz sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND), die Verbraucher spürten den Preisanstieg „jeden Tag: beim Einkaufen, an der Tankstelle, bei den Mieten und beim Erwerb von Immobilien.“ Der „Wirtschaftsweise“ Volker Wieland bezeichnete es als gut, dass das Inflationsziel „nicht massiv angehoben wurde auf drei oder vier Prozent wie das manche vorgeschlagen haben.“

Ihren Kritikern entgegen kommen die Währungshüter bei der Frage, ob die Kosten für selbst genutztes Wohneigentum in die Berechnung der Inflationsrate einbezogen werden sollen. Vor allem in Deutschland ist die Vorstellung verbreitet, die amtliche Inflationsrate für den Euroraums sei allein durch die Art ihrer Messung nach unten verzerrt. Die EZB empfiehlt nun, künftig auch die Kosten für selbst genutztes Wohneigentum „schrittweise“ mit zu berücksichtigen.

Zugleich bitten die Währungshüter beim Thema Wohnkosten um Geduld: Es werde „noch mehrere Jahre dauern“, bis diese Daten in den harmonisierten Verbraucherpreisindex HVPI einfließen werden, den die EZB für ihre Geldpolitik heranzieht. Zum nächsten Mal auf den Prüfstand soll die geldpolitische Strategie im Jahr 2025. (dpa)

***

Altersvorsorge-neu-gedacht.de ist eine Publikation von Bonnier Business Press Deutschland und ist Ratgeber zu den Themen Vorsorge und Geldanlage.

ANG
Vorsorge
Vorsorge Aktivrente: Steuerfreies Arbeiten im Alter – was die Union plant und wer wirklich profitiert
30.05.2025

Immer mehr Menschen wollen oder müssen auch nach dem Renteneintritt weiterarbeiten – sei es aus finanziellen Gründen oder weil sie sich...

ANG
Immobilien
Immobilien Banken vergeben deutlich mehr Kredite für Wohnimmobilien
29.05.2025

Nach langer Flaute greifen Verbraucher wieder stärker bei Immobilienkrediten zu. Im ersten Quartal vergaben Banken neue Finanzierungen...

ANG
Vorsorge
Vorsorge Stadt, Land, Sport: Wieso Stadtkinder oft fitter sind
27.05.2025

Wer als Kind nicht zum Fußball will, hat auf dem Land oftmals nicht viele andere Möglichkeiten. In der Stadt sieht das ganz anders aus....

ANG
Vorsorge
Vorsorge Die Rente reicht nicht?! Erfahrungsberichte übers Arbeiten im Alter
24.05.2025

Viele Menschen können ihre Rente genießen - doch für immer mehr Leute gilt das nicht. Sie müssen aus Geldsorgen weiter arbeiten.

ANG
Karriere
Karriere Chance auf Teilhabe junger Menschen hängt vom Wohnort ab
12.05.2025

Freizeit, Bildung, Mitbestimmung: Die Teilhabe-Chancen für junge Menschen sind sehr unterschiedlich. Wie stark der Wohnort über die...

ANG
Karriere
Karriere Familienministerin Prien befürwortet Lohnersatz für pflegende Angehörige
20.05.2025

Bundesfamilienministerin Karin Prien (CDU) hat sich grundsätzlich dafür ausgesprochen, ein Familienpflegegeld als Lohnersatzleistung für...

ANG
Vorsorge
Vorsorge Grüne warnen vor noch höheren Krankenkassenbeiträgen
20.05.2025

Die Grünen fordern angesichts der kritischen Finanzlage der gesetzlichen Krankenversicherungen Tempo bei Reformen für mehr Effizienz....

ANG
Vorsorge
Vorsorge Warken will mehr Kompetenzen für Pflegekräfte
12.05.2025

Bundesgesundheitsministerin Nina Warken spricht sich für mehr Kompetenzen und bessere Arbeitsbedingungen für dringend benötigte...