Die Erholung der deutschen Wirtschaft vom Corona-Tief gerät ins Stocken. Zwar sind die Auftragsbücher vieler Unternehmen prall gefüllt, doch Lieferengpässe und Rohstoffknappheit bremsen die Produktion der Exportnation Deutschland. Die Stimmung in der deutschen Wirtschaft verschlechterte sich im Oktober zum vierten Mal in Folge: Das Ifo-Geschäftsklima, Deutschlands wichtigstes Konjunkturbarometer, fiel zum Vormonat um 1,2 Punkte auf nun 97,7 Zähler, wie das Ifo-Institut am Montag in München mitteilte.
Nach Einschätzung der Bundesbank wird die Wirtschaftsleistung Deutschlands „wohl auch im Herbst ihr Vorkrisenniveau vom Schlussquartal 2019 noch verfehlen“. In ihrem am Montag vorgelegten Monatsbericht Oktober korrigierte die Bundesbank ihre erst vor gut vier Monaten vorgelegte Wachstumsprognose für das laufende Jahr nach unten: „Im Jahr 2021 insgesamt dürfte das BIP deutlich weniger zulegen als in der Juni-Projektion der Bundesbank erwartet.“ Im Juni hatte die Notenbank für das laufende Jahr einen Zuwachs des realen Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 3,7 Prozent vorausgesagt.
„Aus der Corona-Krise ist eine Knappheitskrise geworden“, analysierte Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der VP Bank. Die Materialknappheiten lasteten schwer auf der Industrie. Hinzu kämen Preisturbulenzen an den Energiemärkten. „Die massiv gestiegenen Gas- und Strompreise werden zu einem konjunkturellen Risiko“, warnte Gitzel.
Lieferengpässe sorgen für Probleme
„Im laufenden Quartal wird die gesamtwirtschaftliche Aktivität voraussichtlich deutlich schwächer zulegen“, schreiben die Volkswirte der Bundesbank. „Der kräftige Schwung im Dienstleistungssektor dürfte erheblich nachlassen. (...) Das Verarbeitende Gewerbe dürfte weiter unter den Lieferschwierigkeiten leiden.“
Im dritten Quartal profitierte beispielsweise das Gastgewerbe vom Zurückdrehen der Corona-Einschränkungen. „Die deutsche Wirtschaft erholte sich im Sommer 2021 weiter“, bekräftigte die Bundesbank in ihrem Monatsbericht. „Die wirtschaftliche Aktivität dürfte noch leicht stärker gestiegen sein als im Frühjahr.“ Dass Lieferengpässe bei Rohstoffen und Vorprodukten die Produktion in der Industrie dämpften, habe ein noch stärkeres Wirtschaftswachstum verhindert.
Nach dem Einbruch der Wirtschaftsleistung im Corona-Lockdown zu Jahresbeginn (minus 2,0 Prozent) hatte das BIP im Zeitraum April bis einschließlich Juni 2021 zum Vorquartal zum 1,6 Prozent zugelegt. Erste Zahlen für das dritte Quartal will das Statistische Bundesamt an diesem Freitag (29.10.) veröffentlichen.
„Lieferprobleme machen den Firmen zu schaffen“, erklärte Ifo-Präsident Clemens Fuest. Die Kapazitätsauslastung in der Industrie sinke. „Sand im Getriebe der deutschen Wirtschaft hemmt die Erholung.“ Die vom Ifo-Institut befragten Unternehmen bewerteten vor allem die Aussichten ungünstiger. Erneut belasteten die anhaltenden Probleme im internationalen Warenhandel, die überwiegend auf die Corona-Pandemie zurückgehen, die Stimmung.
Baugewerbe positiv gestimmt
Gegen den allgemeinen Trend verbesserte sich im Bauhauptgewerbe das Geschäftsklima dem Ifo-Institut zufolge erneut: Hier beurteilten die Unternehmen ihre aktuelle Lage etwas besser als zuletzt.
Im August erhielten Baufirmen in Deutschland ungeachtet stark gestiegener Baupreise vergleichsweise viele neue Aufträge. Die Bestellungen lagen nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes wertmäßig um 18,9 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats. Bereinigt um Kalendereffekte und Preissteigerungen blieb immer noch ein reales Plus von 5,7 Prozent.
Der Materialmangel bremse die Unternehmen weiterhin, sagte der Hauptgeschäftsführer des Bauindustrieverbandes, Tim-Oliver Müller. Da die Aufträge nur stockend abgearbeitet werden könnten, habe es im August einen preisbereinigten Umsatzrückgang von 2,9 Prozent gegeben. Nominal kletterten die Erlöse aber um 6,8 Prozent zum Vorjahresmonat.
Der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes (ZDB) verwies auf schwache Basiswerte aus dem Corona-Jahr 2020, um den starken Anstieg der Nachfrage zumindest teilweise zu erklären. Vor allem Wirtschaftsunternehmen bestellten mehr Bauleistungen als im Vorjahr, während sich öffentliche Kunden zurückhielten.
„Die Wirtschaft steht weiterhin unter dem Eindruck der weltweiten Produktionsschwierigkeiten und Energieknappheiten“, fasste der Chefvolkswirt der Dekabank, Ulrich Kater, die aktuelle Lage zusammen. „Wichtig ist jetzt, dass die privaten Haushalte sich durch den Dauerbeschuss mit schlechten Nachrichten nicht total verunsichern lassen und dadurch die Nachfrage einbricht.“
Nach Einschätzung von KfW-Chefvolkswirtin Fritzi Köhler-Geib ist die Erholung „nur aufgeschoben“: „Der Auftragsbestand in der Industrie ist rekordhoch und die privaten Haushalte haben in der Pandemie ungewöhnlich viel Geld gespart. Ich rechne deshalb mit einem kräftigen Wachstumsschub im Verlauf von 2022, sobald die angebotsseitigen Verwerfungen abebben.“