Plötzlich war der Tag da. Der geliebte Vater ist gestorben – wenige Jahre nach der Mutter. Zurück bleibt eine trauernde Schar Kinder, Enkel und Angehöriger, die die schlimme Nachricht zunächst vereint. Kein Gedanke wird daran verschwendet, wie Haus, bewegliche Güter oder gar finanzielle Mittel künftig aufgeteilt werden sollen. „Die Erbfolge ist für mich klar. Das Haus bekommt die Tochter, der Sohn das Geld. Ich brauche kein Testament“, hat der Vater zu Lebzeiten stets gesagt. Amtliche Dokumente dazu gibt es nicht. Sein Wort, so seine Überzeugung, genügt.
Dass das ein fataler Irrtum sein sollte, stellt sich wenig später heraus. Die Kinder möchten dem Wunsch des Vaters zunächst folgen. Die Tochter nimmt sich vor, Haus und Hof zu erhalten und den geliebten Bruder auszubezahlen. Eine stattliche Summe wird in den Raum geworfen. Doch dem Bruder scheint das Angebot nicht gut genug. Es kommt zum juristischen Streit. Gutachter, Anwälte und schließlich ein Gericht werden bemüht. Der Fall zieht sich über Jahre und braucht nicht nur erhebliche finanzielle Mittel auf, sondern kostet vor allem viel Zeit und Nerven. Am Ende kann der Richter schlichten. Die Parteien einigen sich. Doch die Familienbande sind unwiederbringlich zerstört.
Kein Einzelfall, wie die Berliner Initiative „Mein Erbe tut Gutes. Prinzip Apfelbaum“ berichtet. So schreibt sie in ihrem Magazin: „Fast jede fünfte Erbschaft, so eine Umfrage des Instituts Allensbach, endet im Streit.“
Schweigen ist Silber, reden ist Gold
Hätte ein Fall wie der obige vermieden werden können? Ja, davon ist die Initiative überzeugt. Die erste, dargelegte Regel erscheint dabei so einfach wie effektiv: Eine Familie sollte sich den Tabuthemen Geld und Tod stellen und zu Lebzeiten miteinander reden. Denn oft „(..) geht es nicht nur ums Geld. Es geht um Emotionen, fehlende Liebe und mangelnde Anerkennung.“ Die Initiative empfiehlt, frühzeitig anzusetzen und legt allen das Buch „Konfliktfrei vererben“ des Unternehmensberaters und Coach Hubertus A. Jonas ans Herz, das dieser mit seinem Sohn, dem Sozialpsychologen Kai J. Jonas, geschrieben hat. Die Autoren stellen darin heraus, dass es beim Vererben nicht nur ums Geld, sondern auch um Inhalte gehe. Sie raten daher, an den Beginn eines solchen Prozesses ein Erbengespräch zu stellen, um Wünsche, Bedürfnisse und Befindlichkeiten zu identifizieren und sie anschließend gut zu durchdenken. „Dabei gilt: Je besser die künftigen Erben den Wunsch und den Letzten Willen nachvollziehen können, desto eher werden sie diesem auch zustimmen und ihn umsetzen“, schreibt hierzu die Initiative „Mein Erbe tut Gutes. Prinzip Apfelbaum“. Wenn nichts mehr hilft und Konflikte innerhalb der Familie unlösbar scheinen, sei zudem der Gang zu einem Mediator von Nutzen.
Der Gesellschaft etwas zurückgeben
Doch auch ein völlig anderer Weg scheint interessant. Geschuldet sei dieser, der Initiative zufolge, dem wachsenden Bedürfnis der Menschen, sich frühzeitig Gedanken über den Nachlass zu machen, die Welt verantwortungsvoll mitzugestalten und nachhaltig zu wirken. „So möchten viele mit ihrem Erbe nicht nur diejenigen versorgen, die ihnen nahestehen. Sie wollen auch etwas an die Gesellschaft zurückgeben – und dafür sorgen, dass etwas von dem bleibt, was ihnen zeitlebens wichtig war.“ Inzwischen könne sich in Deutschland bereits jeder und jede Dritte über 50 vorstellen, mit einem Teil des eigenen Vermögens, über das Leben hinaus Gutes zu bewirken. Bei den Kinderlosen seien es sogar mehr als die Hälfte.
Um potenziellen Erblassern und Erblasserinnen mehr Orientierung und Sicherheit zu geben und mögliche Sorgen zu nehmen, hat die Initiative das Erbschaftssiegel „In guten Händen“ entwickelt. Die 22 Organisationen und Stiftungen, die es tragen, haben sich klaren ethischen Richtlinien verpflichtet. Susanne Anger, Sprecherin der Initiative „Mein Erbe tut Gutes. Das Prinzip Apfelbaum“ erklärt: „Durch das Erbschaftssiegel garantieren die Organisationen und Stiftungen, die es tragen, dass Ihr Vermächtnis oder Erbe im besten Sinne des Wortes in gute Hände kommt. Auch Menschen, die sich über das gemeinnützige Vererben vielleicht erstmal nur informieren möchten oder nachträglich Änderungen in ihrem Testament vornehmen wollen, können ihr Anliegen so vertrauensvoll und respektvoll besprechen.“
Ganz grundsätzlich empfiehlt die Initiative, sich frühzeitig Gedanken über den Nachlass zu machen und sich zu informieren. „Das eigene Testament ist immer etwas sehr Persönliches und es stellen sich eine Menge Fragen. Vieles will sorgfältig bedacht sein.“, so Susanne Anger. Menschen die gemeinnützig vererben möchten, empfiehlt sie auch, den persönlichen Kontakt zu in Frage kommenden Organisationen und Stiftungen zu suchen. Im persönlichen Gespräch können individuelle Wünsche und Vorstellungen, aber auch Themen wie Haushaltsauflösung und Grabpflege, umfangreich besprochen werden.