Geldanlage

Chartanalyse: Wenn die Unterstützung wackelt

Lesezeit: 3 min
18.04.2022 13:38  Aktualisiert: 18.04.2022 13:38
Sie operiert mit Unterstützungslinien und Widerständen. Doch können Privatanleger auf die Chartanalyse vertrauen oder handelt es sich bei ihr – zugespitzt ausgedrückt – um Kaffeesatzleserei?
Chartanalyse: Wenn die Unterstützung wackelt
Bringt die Chartanalyse etwas oder kann man genauso gut zum Wahrsager gehen? (Foto: iStock.com/allanswart)
Foto: allanswart

Die Chartanalyse ist in der Finanzbranche weit verbreitet. Charttechniker wollen anhand des vergangenen Kursverlaufes von Wertpapieren, Rohstoffen oder Devisen voraussagen, wie sich der Kurs zukünftig entwickelt. Ziel ist, innerhalb der kommenden Stunden, Tage oder Wochen den besten Kaufs- oder Verkaufszeitpunkt zu treffen. Typisch sind beispielsweise Widerstands- und Unterstützungslinien. Ein Widerstand liegt vor, wenn der Kurs mindestens zweimal bis zu einem bestimmten Preis steigt und danach wieder fällt. Eine Unterstützungslinie verläuft durch mindestens zwei Kurstiefs, die denselben Wert aufweisen. Durchbricht der Kurs die horizontalen Linien, soll das ein Hinweis auf einen Kurstrend nach oben oder unten sein. Manchmal dient die Chartanalyse sogar als Verkaufsargument, warum ein Anleger gerade jetzt ein bestimmtes Wertpapier oder Edelmetall kaufen soll. Doch können Privatanleger auf die Chartanalyse vertrauen?

Was spricht für die Chartanalyse?

Befürworter argumentieren, dass menschliches Verhalten festen psychologischen Gesetzen folge. Anleger würden sich deswegen immer wieder gleich verhalten und Kursverläufe würden sich wiederholen. Außerdem betrachten sie die Chartanalyse als eine selbsterfüllende Prophezeiung. Weil viele Anleger auf die Charttechnik setzen, könne diese Hinweise auf die Stimmung am Markt geben und verraten, wie die Investoren gerade „ticken“. Aus der ökonomischen Theorie lasse sich nämlich nicht ableiten, welcher Zeitpunkt zum Kaufen und Verkaufen am günstigsten sei.

Die Mainstream-Finanzmarkttheorie lehnt die Chartanalyse indes ab, weil sie die Finanzmärkte als effizient betrachtet (Effizienzmarkthypothese). Informationen über den vergangenen Kursverlauf sind demnach im aktuellen Kurs bereits vollständig eingepreist. Aus historischen Preismustern lasse sich also kein Informationsvorsprung gewinnen. Die beste Prognose sei der aktuelle Kurs. Ein Anhänger dieser Theorie, der Vermögensberater Gerd Kommer, spricht sich scharf gegen die Chartanalyse aus. „Tatsache ist, dass diese Effekte zeitweilig vorhanden sind, zu anderen Zeiten dann wieder nicht, Zeitpunkte und Ausmaße sich allerdings nicht zuverlässig vorhersagen lassen“, erklärt er in seinem Buch „Souverän Investieren mit Indexfonds“.

Was sagt die empirische Forschung?

Studien zeichnen kein einheitliches Bild darüber, ob die Chartanalyse funktioniert. Das liege an der Chartanalyse selbst, schreibt der Finanzwissenschaftler Andrew Lo vom Massachusetts Institute of Technology. „Eines der Haupthindernisse ist die sehr subjektive Natur der technischen Analyse – das Vorhandensein geometrischer Formen in historischen Kurscharts liegt oft im Auge des Betrachters.“ Laut einer Metastudie aus dem Jahr 2007 bestätigen indes die meisten Untersuchungen die Charttechnik. Von insgesamt 95 Untersuchungen seit den Achtzigerjahren kämen 56 zu positiven Resultaten und bloß 20 zu negativen.

Dennoch seien die Ergebnisse mit Vorsicht zu genießen, schreiben die Autoren von der Universität von Illinois. Etwa sei ein Problem sogenanntes Daten-Snooping. Es sei nicht auszuschließen, dass historische Daten so lange auf charttechnische Formationen durchsucht würden, bis eine funktionierendes Muster zufällig gefunden sei. Die Ergebnisse von Studien könnten folglich irrelevant sein, wenn sie sich von anderen Forschern für andere Zeiträume und Kursdaten bestätigt würden.

Eine andere Studie aus dem Jahr 2014 berichtete, dass Privatanleger, die die Chartanalyse verwendeten, „dramatisch“ geringere Renditen erzielten. Die technischen Anleger riskierten mehr, handelten häufiger und setzten auf konzentrierte Portfolios mit wenigen Positionen. Basis der Studie waren die Daten eines niederländischen Brokers zwischen den Jahren 2000 und 2006.

Macht die Charttechnik Sinn?

Thorsten Polleit, Chefvolkswirt der Degussa Goldhandel, führt noch zwei andere Argumente an. Erstens hätten Händler bereits längst die Charttechnik für sich ausgenutzt, wenn es tatsächlich Kursmuster gebe, die etwas über die zukünftige Kursentwicklung verraten würden. Schließlich tummelten sich auf den Börsen Millionen von Händlern, die sich jeden Tag mit nichts anderem als den Kursen beschäftigten. „Die Vermutung, dass dabei eine im Prinzip allen zugängliche ,Überrenditeformel‘ lange unentdeckt und ungenutzt bleibt, ist da in der Tat recht unwahrscheinlich“, schreibt Polleit in einem Artikel in der Wirtschaftswoche. Außerdem würde der Zusammenhang zwischen historischem und zukünftigen Kursmuster spätestens mit der Entdeckung zusammenbrechen.

Zweitens ignorierten die Anhänger der Chartanalyse, dass Menschen lernfähig seien. Aus logischen Gründen lasse sich nicht schon heute sagen, wie Menschen auf zukünftige Einflüsse reagieren werden. „Und daher lassen sich auch aus vergangenen Handlungen – oder deren Niederschlag in Form von zum Beispiel Kursmustern an den Börsen – keine systematischen Rückschlüsse auf künftige Kursentwicklungen ziehen“, erklärt Polleit. Der Ökonom rät deswegen davon ab, die Charttechnik als Grundlage für Investitionsentscheidungen zu verwenden. Anlegern bleibt folglich bloß die Fundamentalanalyse – also das Aussuchen einzelner Wertpapiere aufgrund von wirtschaftlichen Daten wie etwa Unternehmenskennzahlen – oder das passive, langfristige Investieren über ein Weltaktien-ETF-Portfolio, das weitgehend ohne Prognosen über die Zukunft auskommt.

Elias Huber arbeitet als freier Journalist in Frankfurt am Main und schreibt vor allem über Konjunktur, Edelmetalle und ETFs sowie die ökonomische Lehre der Österreichischen Schule. 

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