Seit jeher versuchen Finanzexperten mehr oder weniger fundierte Prognosen um die Frage, wie sich die Inflation entwickeln wird. Mit anderen Worten: Sie bemühen sich vorherzusagen, ob die Verbraucherpreise steigen oder fallen werden und wie stark. Wenn man die Diskussion um das Thema über die Jahre verfolgt, dann finden sich dort immer wieder dieselben Argument, warum die Inflation steigen oder fallen müsse. Viele der Argumente klingen durchaus logisch, scheitern jedoch regelmäßig an der Realität, weil sie sich zu einseitig auf bestimmte ausgewählte Faktoren konzentrieren und andere Faktoren außer acht lassen.
Nun haben das Coronavirus und die darauf folgenden Maßnahmen massive Veränderungen in die Finanzwelt gebracht, was in der Folge auch der Diskussion um die Inflation neuen Schub verliehen hat. Die einen Analysten sagen, dass die massiven Eingriffe von Staaten und Zentralbanken extreme Preisanstiege nach sich ziehen werden, wie sie - zumindest in der entwickelten Welt - seit Jahrzehnten nicht mehr aufgetreten sind. Die anderen Analysten sagen, dass die seit der Großen Finanzkrise sich entfaltende Dynamik anhalten wird und dass die Verbraucherpreise auch in Zukunft nur in geringem Maße steigen oder sogar fallen werden.
Bisher haben die Statistiker keinen Anstieg der Verbraucherpreise gemessen. Allerdings haben die globalen Märkte einen Anstieg der Inflation auf ein Mehrjahreshoch eingepreist. Und die Notenbanken haben bereist im vergangenen Jahr ausdrücklich angekündigt, dass sie künftig eine höhere Inflation zulassen wollen, um auf diese Weise die niedrigeren Inflationsraten der letzten Jahre wieder auszugleichen. Investoren sollten die Argumente der Inflationisten und der Deflationisten kennen, damit sie selbst abwägen können, wie sie sich möglicherweise gegen die Gefahren absichern, die sich aus den verschiedenen Szenarien ergeben.
Geldmenge oder Umlaufgeschwindigkeit
In der Folge von Corona haben die globalen Notenbanken in einem nie dagewesen Umfang Geld gedruckt, um Staatsanleihen und andere Wertpapiere zu kaufen. Die EZB etwa hat die Geldmenge M1 eigenen Angaben zufolge innerhalb eines Jahres um historische 16,4 Prozent ausgeweitet. Diese Tatsache führt nun die Inflationisten zu der Annahme, dass die Preise steigen werden. Denn wenn plötzlich mehr Geld und somit mehr Nachfrage da ist, um dieselbe Menge an Waren und Dienstleitungen zu kaufen, dann müssen auch die Preise steigen, so das Argument. Wenn nämlich die Unternehmen und Verbraucher insgesamt mehr Geld haben, dann werden sie tendenziell auch mehr ausgeben.
In der Theorie klingt dies durchaus logisch, und mit dieser Argumentation werden Anleger von jeher immer wieder dazu gelockt, in verschiedene Dinge zu investieren, seien es Aktien, Edelmetalle oder Bitcoin. Tatsächlich haben die Zentralbanken im Kampf gegen die Große Finanzkrise die Druckerpressen angeworfen und sie seitdem immer wieder im großen Stil zum Einsatz gebracht. Doch die Verbraucherpreise sind seitdem dennoch nur moderat gestiegen. Und selbst im Corona-Jahr 2020, als die Notenbanken historische Mengen Geld druckten, schlug sich dies - zumindest vorerst - nicht in höheren Inflationsraten nieder.
Denn in der realen Welt ist es zwar durchaus auch wichtig, wie viel Geld insgesamt vorhanden ist, aber noch wichtiger ist, was die Marktteilnehmer mit dem Geld machen. Dies drückt sich in der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes aus, also darin, wie oft das Geld den Besitzer wechselt, indem es zum Kauf von Waren und Dienstleistungen verwendet wird. Im Jahr 2008 ist die Umlaufgeschwindigkeit weltweit eingebrochen und hat sich davon nie wieder erholt. Im vergangenen Jahr fiel sie auf ein neues Rekordtief. Ein Grund dafür, dass das Geld immer weniger zum Einsatz kommt, ist sicherlich, dass die Menschen aufgrund der unsicheren wirtschaftlichen Aussichten Geld horten.
Wer erhält die Billionen an neuem Geld?
Die Inflationisten sagen, dass die Ausgaben - und damit die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes - sich diesmal schneller erholen werden als nach der Großen Finanzkrise. Für diese These spricht, dass die Staaten im Kampf gegen die Folgen der von ihnen verhängten Coronamaßnahmen Geld in erheblichen Umfang direkt an die Bürger ausgegeben haben, etwa in Form von Arbeitslosengeld, Kinderboni, Kurzarbeitergeld. Dieses Geld gelangt wahrscheinlich zu großen Teilen in den Umlauf, sodass in der Folge die Preise steigen werden. Möglich wurde dies, weil die Zentralbank den Staaten diese Ausgaben ermöglicht haben, indem sie in historischem Umfang Staatsanleihen kauften.
Zudem haben die Zentralbanken in einem nie dagewesenen Maße auch andere Wertpapiere gekauft, darunter Unternehmensanleihen, Immobilienkredite und Aktien. Diese Wertpapierkäufe mit für diesen Zwecke frisch gedrucktem Geld haben die Finanzmärkte nach oben getrieben, sodass viele Investoren Gewinne mitgenommen und teils auch für den Konsum verwendet haben oder ihre Gewinne für den Konsum verwenden wollen. Dieser sogenannte Wohlstandseffekt könnte zusätzlich die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes antreiben und somit die Verbraucherpreise steigen lassen. Dies ist die Theorie - doch was geschieht in der Praxis?
Tatsächlich sind die Einkommen trotz der andauernden immensen globalen Wirtschaftskrise relativ stabil geblieben, allerdings ist die Sparquote gestiegen. In Deutschland ist die Sparquote 2020 auf das Rekordhoch von 16,3 Prozent gestiegen nach 10,9 Prozent im Jahr 2019, wie wie das Statistische Bundesamt mitteilte. Das heißt, dass die deutschen Haushalte im vergangenen Jahr von 100 Euro an verfügbarem Einkommen im Schnitt 16,30 Euro zurücklegten - mehr als jemals zuvor. Grund dafür sind zum Beispiel Dinge wie die Schließungen von Restaurants und Bars oder die Verschiebung von Flugreisen. Doch irgendwann müssen die Menschen das gesparte Geld ausgeben - oder nicht?
Wirtschaft am Ende oder Erholung absehbar?
Ob die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes wieder ansteigt, hängt entscheidend davon ab, wie schnell sich die Wirtschaft wieder von der Krise erholen kann. Sobald die Menschen gut bezahlte sichere Jobs haben, fallen auch die Hemmungen, das gesparte Geld für den Konsum auszugeben. Im übrigen können die Preisanstiege dann sehr plötzlich und sehr stark ausfallen, da steigende Preise in solchen Situationen dazu neigen, sich gegenseitig nach oben zu ziehen. Wenn etwa Flugreisen wieder stark gefragt sind und also deutlich teurer werden, so nehmen die Anbieter entsprechend mehr Geld ein. Sie müssen mehr Leute anstellen, die dann mit ihren Gehälter wieder andere Preise nach oben treiben.
Tatsächlich ist eine solche tragfähige wirtschaftliche Erholung in vielen Teilen der Welt noch nicht absehbar. Dass so wenige Konzerne insolvent sind erklärt sich daraus, dass die Staaten sie in Form von Hilfen oder Beteiligungen gerettet haben und dass die Zentralbanken die Finanzmärkte mit Geld geflutet haben, sodass die Konzerne sich extrem günstig refinanzieren können. Diese Zombie-Unternehmen sind in dieser Form nicht lebensfähig und zehren zudem an den knappen verfügbaren Ressourcen. Auch der Schaden am deutschen Mittelstand ist in seiner vollen Tragweite noch nicht erkennbar, weil viele Insolvenzen derzeit schlicht nicht angemeldet werden.
Corona und Krieg
Waren und Dienstleistungen werden dann billig angeboten, wenn sie ohne Unterbrechungen in großer Zahl produziert und auf den Markt gebracht werden können. Die Inflation war in den letzten Jahren auch deshalb so niedrig, weil viele Waren billig im fernen Ausland produziert worden sind und weil der technologische Fortschritt die Produktionsprozesse so effektiv gemacht hat. Doch die aktuelle Krise hat bereits einige Lieferketten in Mitleidenschaft gezogen, in Schlüsselsektoren wie bei Halbleitern ist es schon zu Engpässen gekommen. Zudem sind zuletzt die Transportkosten auch wegen der hohen Energiepreise wieder gestiegen.
Der Corona-Kampf ähnelt in vieler Hinsicht einem Krieg. Denn im Kampf gegen Corona haben die Staaten der Welt extreme Eingriffe in die Wirtschaft vorgenommen, wie man sie sonst nur aus Kriegszeiten kennt. Und Kriege haben historisch gesehen in der Regel hohe Inflationsraten nach sich gezogen. Doch es gibt einen Unterschied zwischen Corona und Krieg, der Hoffnung macht. Im Krieg werden Produktionsstätten physisch zerstört, in Zeiten von Corona hingegen werden Fabriken und andere Unternehmen nur vorübergehend ganz oder teilweise stillgelegt. Die Produktion könnte also schneller wieder starten und Engpässe könnten geringer ausfallen, als nach einem Krieg.
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