Börse

Bärenmarkt voraus: Was Anleger derzeit von professionellen Tradern lernen können

Lesezeit: 6 min
11.05.2022 16:30
Investoren und Trader betrachten Märkte aus geradezu gegensätzlichen Perspektiven, die beide Erfolg haben können. Doch in einem Bärenmarkt liegen Trader meist besser.
Bärenmarkt voraus: Was Anleger derzeit von professionellen Tradern lernen können
Gerade in einem Bärenmarkt können Investoren viel von Tradern lernen. (Foto: iStock.com/rzoze19)
Foto: rzoze19

Auch langfristig denkende Anleger können einiges davon lernen, wie professionelle Händler bei der Auswahl und beim Managen ihrer Trades vorgehen. Und gerade im heutigen Aktienmarkt erscheint es umso wichtiger, von der Disziplin und den Taktiken der Trader zu profitieren. Denn der Bärenmarkt ist unaufhaltsam, und die Frage besteht lediglich darin, wann er mit aller Macht durchbricht. Diese kommende Trendwende bei den Vermögenspreisen gilt es mit dem geringstmöglichen Schaden für die Portfolios zu überstehen.

Nicholas Colas vom Finanzmarktdienstleister DataTrek Research hat Mitte der 1980er-Jahre an der Wall Street angefangen und berichtet, dass es damals eine klare Trennung zwischen Tradern und Investoren gab. Dem gängigen Klischee zufolge lieben Trader die Volatilität und jagen dem jeweiligen Momentum hinterher. Investoren hingegen kaufen und halten, egal wie sich der Preis entwickelt. Doch dieses Klischee lehnt Colas ab – und das aus guten Grunde.

„Ich habe für und mit Personen gearbeitet, die mit dem einen oder anderen Ansatz Milliarden von Dollar für sich und ihre Anleger verdient haben“, schreibt er. Es mag richtig sein, dass der legendäre Investor Warren Buffett reicher ist als jeder Trader. Allerding hat er 90 Prozent seines Geldes erst nach seinem 65. Geburtstag verdient. Heute ist er 91 Jahre alt. Sein Vermögen in Höhe von 116 Milliarden Dollar ist also nicht nur auf sein Investitionsgeschick, sondern auch auf seine Langlebigkeit zurückzuführen.

Ein Grund, warum professionelle Händler und Investoren so verschieden sind, liegt in ihrer so unterschiedlichen Ausbildung. Colas beschreibt die Denkweise der Trader, wie er sie bereits im Jahr 1999 kennenlernte, als er bei der Hedgefonds-Gruppe SAC Capital begann, wie folgt:

  • Man beginnt mit einem Grundstock an Kapital, sagen wir 1 Million Dollar.
  • Ihr Ziel ist es, mit diesem Kapital an jedem Arbeitstag 1.000 Dollar zu verdienen. Das ergibt eine jährliche Rendite von 25 Prozent. Das ist kein besonders hoher Betrag, aber deutlich mehr als die für den Aktienindex S&P 500 typische Rendite von 7 bis 10 Prozent. Und wenn ich sage „jeden Tag“, dann ist das genau das, was ich meine. Jeden Tag, keine Ausreden.
  • Sobald Sie 4–6 Wochen lang zuverlässig 1.000 Dollar pro Tag verdienen können, erhöhen Sie das Ziel auf, sagen wir, 1.500 Dollar pro Tag.
  • Wenn Sie bei 1.500 Dollar pro Tag straucheln, gehen Sie zurück zum Ziel von 1.000 Dollar pro Tag. Wenn Sie dieses Ziel ein paar Wochen lang erreicht haben, versuchen Sie erneut, das höhere Ziel zu erreichen. Der Prozess wiederholt sich dann. Schließlich fügen Sie der ursprünglichen Basis von 1 Million Dollar mehr Kapital hinzu und setzen sich immer höhere Ziele.

Ganz anders verläuft die typische Ausbildung eines Investors, die nach dem Studium üblicherweise als Branchenanalysten beginnen. Dann leiten sie ein Sektorportfolio und schließlich ein diversifiziertes Portfolio. Nicholas Colas hat nur den ersten Teil dieses üblichen Weges für Investoren zurückgelegt. Er hat nach der Universität neun Jahre lang als Branchenanalyst bei der Credit Suisse gearbeitet.

Doch dann wechselte Colas ins Lager der Trader und absolvierte bei SAC die oben beschriebene Ausbildung. Er spricht also aus eigener Erfahrung, wenn er sagt, dass der Unterschied in der Ausbildung bei Tradern und Investoren zu sehr unterschiedlichen Wegen der Entscheidungsfindung führt und nennt dafür drei Beispiele:

  • Zeigen Sie einem Trader eine Aktie, die ein 52-Wochen-Tief erreicht hat, und er wird dazu neigen, sie zu verkaufen. Der Anleger hingegen wird eher dazu neigen, sie zu kaufen. Die meisten Aktien gehen nicht auf null, so die Überlegung, also hat eine „billigere“ Aktie vielleicht bessere Renditeaussichten für die Zukunft.
  • Wenn ein Händler eine Aktie besitzt, die an einem Tag um 3 bis 5 Prozent fällt, wird er sie mit ziemlicher Sicherheit sofort verkaufen. Dieser Verlust ist ein Schlag gegen sein tägliches Gewinnziel, sodass der Verkauf den Kopf frei macht und das Kapital zur Verfügung stellt, um sich darauf zu konzentrieren, das Geld mit anderen Titeln zurückzugewinnen. Der Anleger ist eher der Meinung, dass „der Markt falsch liegt“. Cathie Woods endlose Verteidigung ihrer Hauptbeteiligungen des ARKK ETF ist ein Beispiel für diese Denkweise.
  • Händler konzentrieren sich auf Ideen, von denen sie überzeugt sind, das heißt auf solche, die die besten Chancen haben, ihr tägliches Gewinnziel zu erreichen. Alles andere brauchen sie nicht im Blick zu haben. Anleger stehen vor einer weiter reichenden Herausforderung. Die meisten sind breit gestreut, was bedeutet, dass sie ein hohes Maß an Kompetenz in einer Vielzahl von Anlageklassen, geografischen Regionen, Sektoren und Aktien benötigen.

Colas sagt ganz deutlich, dass Trading nicht „besser“ ist als Investieren. Vielmehr geht es ihm darum, „dass in schwierigen Märkten auch der langfristig orientierte Anleger die Disziplin eines Händlers nutzen kann, um bessere Ergebnisse zu erzielen“. Dazu nennt er vier kurze Beispiele:

  • Wie wir in letzter Zeit oft gesagt haben, sollten Sie es vermeiden, an neuen 52-Wochen-Tiefs festzuhalten, und auf jeden Fall sehr vorsichtig mit Aktien oder börsengehandelten Fonds sein, die kürzlich ein solches Tief erreicht haben. Warten Sie mindestens einen bis drei Monate, bis sich der Kurs eingependelt hat. Billige Aktien und Sektoren werden immer noch billiger, wenn die Märkte die Bewertungen nach unten korrigieren.
  • Skalieren Sie das Risiko auf der Grundlage des [Volatilitätsindex] CBOE VIX Index. Wenn er bei 36 (oder noch besser bei 44 oder 52) liegt, sollten Sie das Risiko erhöhen. Wenn er sich 20 nähert, sollten Sie sich zurückhalten. [Aktuell liegt der Index bei circa 33.]
  • Konzentrieren Sie sich nur auf zukünftige Erträge. Selbst die unerfahrensten Händler tun dies, indem sie sich an ihr Ziel von 1.000 Dollar pro Tag halten. Das Schwierigste an guten Anlageentscheidungen in einem Bärenmarkt ist, frühere Fehler einzugestehen, zu verkaufen und weiterzumachen.
  • Aktien lieben dich nicht zurück. Das ist ein altes Sprichwort unter Händlern, und es gilt auch für langfristige Anleger. Es ist leicht, aber falsch, zu glauben, dass eine Aktie oder ein Sektor erfolgreich sein wird, nur weil man sich intensiv damit beschäftigt hat oder den CEO für ein Genie hält.

Fazit: Colas sagt, dass das Trading „wesentliche Gewohnheiten für vernünftige Investitionen in volatilen Märkten“ hervorhebt, nämlich das Setzen von Zielen, das Einhaltung eines disziplinierten Prozesses und intellektuelle Ehrlichkeit. „Trader mögen weniger intelligent erscheinen als Investoren, aber ihr Ansatz erkennt an, dass es bei der Verwaltung von Kapital letztlich darum geht, seine Zeit und seine Gefühle zu managen. Das auf akademischen Theorien basierende ,Investieren‘ lässt diese allzu menschlichen Überlegungen außer Acht. In einer Hausse ist das in Ordnung, aber in einer Baisse ist ein realistischerer Ansatz unerlässlich.“

Colas und seine Kollegen glauben in der Tat, dass die amerikanischen und globalen Aktienmärkte zunächst noch weiter fallen müssen. „Die gute Nachricht ist jedoch, dass sich bei einer Trendwende der Vermögenspreise fantastische Gewinne erzielen lassen. Das einzige Ziel der Anleger sollte jetzt sein, diesen Zeitpunkt mit einem Minimum an zusätzlichen Schäden für ihre Portfolios zu erreichen.“

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