Geldanlage

Stagflation: Warum sie droht und wie sich Anleger schützen können

Lesezeit: 7 min
21.03.2022 13:41  Aktualisiert: 21.03.2022 13:41
Seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs werden die Warnungen vor einer Stagflation immer dringlicher. Droht klassischen Aktien- und Anleiheanlegern tatsächlich ein verlorenes Jahrzehnt?
Stagflation: Warum sie droht und wie sich Anleger schützen können
Eine Phase hoher Inflation gepaart mit geringem bis negativem Wirtschaftswachstum nennt sich Stagflation und ist von Politikern, Notenbankern und Anlegern gleichermaßen gefürchtet. (Foto: iStock.com/allanswart)
Foto: allanswart

Der Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, warnte bereits Ende Januar vor einer Stagflation. Grund sei die Klima-Politik der Bundesregierung, die auf steigende CO2-Preise setze. „Europa droht eine Stagflation, wenn die Politik nicht aufpasst“, sagte der Professor. „Ich rede hier nicht über dieses oder kommendes Jahr, sondern weit in das Jahrzehnt hinein, das vor uns liegt.“ Hat Hüther Recht – und wie sollten Anleger reagieren?

Was ist eine Stagflation?

Das Wort setzt sich aus den Begriffen Stagnation und Inflation zusammen. Gemeint ist eine Phase von hoher Inflation und geringem bis negativem Wachstum. Die westlichen Volkswirtschaften befanden sich in den Siebzigerjahren in einer Stagflation. Zeitweise schrumpfte etwa die deutsche oder die US-amerikanische Wirtschaft, während die Inflationsrate in den USA auf +14,8 Prozent und in Deutschland auf +7,9 Prozent stieg. Die Arbeitslosigkeit nahm dramatisch zu: In Deutschland vervierfachte sie sich von 1973 bis 1975 und überschritt im Jahr 1975 erstmals die Marke von einer Million.

Erst Paul Volcker stoppte die Inflation im Jahr 1980 in den USA, nachdem er kurz zuvor Fed-Chef geworden war. Er erhöhte den Leitzins weit über die Inflationsrate hinaus auf 19 Prozent im Juni 1980. Laut dem Volkswirt Gunther Schnabl ging der Inflationsdruck damals von einer lockeren Geldpolitik der Fed aus. Diese habe über die Notenpresse steigende Sozialausgaben und einen teuren Vietnamkrieg finanziert, erklärt der Professor der Universität Leipzig gegenüber btc-echo. Das habe wie heute zu steigenden Energie- und Lebensmittelpreisen geführt. Die Inflation habe sich über Lohn-Preis-Spiralen verfestigt, nachdem die Gewerkschaften höhere Löhne gefordert hätten.

Der Ölpreisschock war indes nicht der Auslöser der Stagflation, sondern bloß eine Art Brandbeschleuniger. Ursache von Teuerung ist die Ausweitung der Geldmenge. Etwa betrachtet der Ökonom Ludwig von Mises Inflation als einen Anstieg der Geldmenge, der nicht durch einen entsprechenden Anstieg der Geldnachfrage ausgeglichen wird.

Wie könnte eine Stagflation konkret ablaufen?

Laut dem Ökonom Thomas Mayer kann das Wachstum in einer Stagflation zwischenzeitlich auch mal höher ausfallen. „Die Inflation ist im Trend hoch und das Wachstum ist im Trend niedrig, aber beide haben enorme Volatilität“, erklärt der Chef des Flossbach von Storch Research Institut in einem Youtube-Interview. Die Inflation schieße hoch, aber beruhige sich zwischenzeitlich wieder. Ebenso falle die Wirtschaft in eine Rezession, bevor das Wachstum – auch durch Zentralbankgeld – wieder anziehe.

In den Siebzigerjahren erreichte die Inflation in den USA ein erstes Hoch im Jahr 1975, bevor die Fed die Zinsen erhöhte, die Inflation absank und das Wachstum anzog. Zum Ende des Jahrzehnts schoss die Inflation noch höher hinaus und die Wirtschaft fiel erneut in eine Rezession.

Der Ökonom Stefan Kooths erwartet mittelfristig keine extrem steigenden Arbeitslosenzahlen. „Anders als in den Siebzigerjahren drohen keine Entlassungswellen, keine Massenarbeitslosigkeit“, erklärte der Konjunktur-Chef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft. Firmen würden sich vielmehr aufgrund der demographischen Entwicklung tendenziell eher um Arbeitnehmer reißen.

Warum droht eine Stagflation?

Erstens greifen die Staaten immer mehr in die Wirtschaft ein. Etwa steigen die Staatsquoten in westlichen Ländern im langfristigen Trend. Die deutschen Staatsausgaben betrugen im vergangenen Jahr bereits 51,6 Prozent des gesamten Bruttoinlandsprodukts (+0,8 Prozentpunkte). Die hohen Steuern und die zunehmenden Regulierungen bremsen die Wirtschaft aus. Zweitens griff Protektionismus bereits vor den Russland-Sanktionen immer mehr um sich – etwa aufgrund der Lieferengpässe durch die Corona-Maßnahmen. Handeln Staaten weniger miteinander, drückt das die Produktivität und erhöht die Preise.

Drittens dämpft die Alterung der westlichen Bevölkerungen die Produktivität. Alte Menschen sparen weniger und konsumieren mehr. Etwa fand die staatliche KfW-Bank in einer Studie vom November heraus, dass deutsche Unternehmen bereits seit Jahren „zu wenig“ investieren. Die Investitionsbereitschaft sinke mit steigendem Alter „erheblich“, beobachten die Autoren. „Viele Investitionen besitzen bei hohem Alter aus Inhabersicht schlicht eine zu lange Amortisationszeit – die finanzielle Verpflichtung wird dann eher gescheut.“

Viertens plant der Staat mit hohen Ausgaben für die Energiewende. Außerdem dürften die Gesundheits- und Rentenkosten aufgrund der längeren Lebenserwartung und der Alterung enorm steigen. Laut dem Renten-Experten Bernd Raffelhüschen wären die Staatsschulden Deutschlands fast dreimal so hoch, wenn der deutsche Staat fehlende Rückstellungen für die Rente und Gesundheitskosten in seinem Haushalt ausweisen würde. Auch im EU-Schnitt sind die impliziten Staatsschulden hoch.

Staaten und Notenbanken können auf das stagnierende Wachstum und die absehbaren Mehrausgaben reagieren, indem sie die Staatsausgaben kürzen, die Steuern erhöhen oder die Notenpresse anwerfen. Weil Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen unpopulär sind – besonders angesichts einer steigenden Zahl von Rentnern – sind Gelddrucken und somit Inflation am wahrscheinlichsten.

Welche Anlagen profitieren von einer Stagflation?

Laut Zahlen des Vermögensverwalters Schroders entwickeln sich vor allem Rohstoffe und Edelmetalle in einer Stagflation stark. Das Londoner Unternehmen hat die Renditen von Anlageklassen in Stagflationsphasen zwischen 1973 und 2021 untersucht. Als Stagflation galt ein Monat, in dem die Inflationsrate steigt und der Konjunkturindex Leading Economic Index fällt. Der US-Index misst das Wachstum anhand von zehn Kriterien wie der Auftragsentwicklung in der Industrie, der Zinsstrukturkurve oder der Zahl der wöchentlichen Arbeitsstunden in der Industrie.

Das Ergebnis: Die Nase vorne hatte Gold mit einer inflationsbereinigten Rendite von +22,1 Prozent. Rohstoffe und US-Immobilien-Aktiengesellschaften (REITs) erzielten ebenfalls Zugewinne nach Abzug der Inflation (+15,0 bzw. +6,5 Prozent). Schwächer performten kurzfristige US-Staatsanleihen (+0,4 Prozent), langfristige US-Staatsanleihen (+0,6 Prozent) und Aktien (-1,5 Prozent).

Schroders zufolge sind die Zahlen intuitiv schlüssig. Gold entwickle sich bei negativen Realzinsen und wirtschaftlicher Unsicherheit gut. Rohstoffe schnitten in der Regel bei steigender Inflation positiv ab. Immobiliengesellschaften könnten Preiserhöhungen an die Mieter weiterreichen oder über steigende Immobilienpreise abfedern. Aktien würden sich schwertun, da sich Unternehmen mit fallenden Einnahmen und steigenden Kosten konfrontiert sehen, erklärt der Vermögensverwalter.

Laut dem Fondsanbieter Incrementum entwickelte sich auch Silber in den Stagflationsperioden zwischen 1969 und 1983 stark. Die reale Rendite lag laut dem Inflationsreport 2020 bei +13,1 Prozent.

Wie sollten Anleger reagieren?

Incrementum rät zur Vorsicht mit klassischen Anlagestrategien wie einem Portfolio aus 60 Prozent Aktien und 40 Prozent Anleihen. Die traditionelle Theorie versage bei Aktien in stagflationären Zeiten, heißt es im Inflationsreport 2020. Sowohl Aktien als auch Anleihen hätten in der Stagflation der Siebzigerjahre negative Realrenditen eingefahren. „Die Gewinner des neuen Paradigmas werden die realen Vermögenswerte sein, denen es gelingt, aus den teureren Lieferketten, den steigenden Rohstoff- und Edelmetallpreisen und der Kostenflexibilität Gewinne zu erzielen“, vermutet Incrementum.

Das seien vor allem die Edelmetalle Gold und Silber, Minen-Aktien, Kryptowährungen und besonders Bitcoin, Rohstoffe, Immobilien und Value- statt Growth-Aktien. Außerdem sollten Anleger in einem inflationären Umfeld auf Unternehmen mit Preissetzungsmacht bauen. Diese könnten trotz der Inflation die eigenen Preise und somit die Gewinnspanne anheben. Am besten seien Firmen mit hoher durchschnittlicher Gewinnmarge, niedrigem Anteil der Arbeitskosten an den Gesamtkosten, Rohstoffproduzenten und defensive statt sehr zyklischer Titel. Außerdem könnten Unternehmen mit einem hohen Anteil festverzinslicher Schulden am Eigenkapital profitieren, weil die Inflation den Schuldendienst erleichtere.

Wie können passive ETF-Anleger vorgehen?

Passive Weltaktien-ETF-Anleger können einen Rohstoff-ETF ins Portfolio nehmen oder in Edelmetalle investieren. Der Fondsmanager Marcos Peréz rät zu einem Portfolio aus je einem Viertel Gold, Aktien, Anleihen und Immobiliengesellschaften (REITs). Die Anleihen, Aktien und REITs ließen sich am besten über ETFs abbilden. Ein solches Portfolio schneide bei Stagflation besser ab als ein Aktien-Anleihe-Portfolio, sagt der Finanzexperte. Das lasse sich etwa an den Siebzigerjahren zeigen, in denen es drei Perioden starker Rezessionen, Inflation und Zinserhöhungen der Fed gegeben habe.

Hinter dem Portfolio von Peréz steht die Idee, dass sich die Zukunft auch über sehr lange Zeiträume nicht voraussagen lässt. Darum sei es das schlaueste, ein Portfolio zu bauen, das einem vor jedem Zukunftsszenario schütze, argumentiert der Manager des Fonds Affinium Internacional. Weil sich den einzelnen Szenarien auch keine Eintrittswahrscheinlichkeit zuordnen lasse – etwa einem günstigen Szenario für Gold wie hoher Inflation oder einem Schwarzes-Schwan-Ereignis – müsse man jeden Vermögensklasse gleich gewichten.

                                                                            ***

Elias Huber arbeitet als freier Journalist in Frankfurt am Main und schreibt vor allem über Konjunktur, Edelmetalle und ETFs sowie die ökonomische Lehre der Österreichischen Schule. 


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