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Deutschland braucht mehr Strom als berechnet – was bedeutet das?

Lesezeit: 5 min
11.06.2021 18:23  Aktualisiert: 11.06.2021 18:23
Bei den bisherigen Annahmen, wie viel Strom das Land braucht, liegt man ordentlich daneben. Doch wie soll der erhöhte Strombedarf gedeckt werden, um gleichzeitig die Klimaziele zu erreichen? Die Politik liefert keine Ideen.
Deutschland braucht mehr Strom als berechnet – was bedeutet das?
Deutschland braucht mehr Strom. Doch woher soll dieser kommen? (Foto: iStock.com/photoschmidt)
Foto: photoschmidt

Viel mehr Elektroautos, Wärmepumpen, „grüner“ Wasserstoff für den Umbau etwa in der Stahlindustrie: Der Strom dafür soll aus erneuerbaren Energien kommen. Doch wie viel Strom mehr wird in den kommenden Jahren im Zuge der Energiewende benötigt? Denn je höher der Strombedarf ist, desto mehr Ökostrom aus Windkraft an Land und auf See sowie aus Solaranlagen wird gebraucht, um die Klimaziele zu schaffen.

Die bisherigen Annahmen fallen aber zu niedrig aus. Das räumte nun auch Wirtschaftsminister Peter Altmaier ein, der auch für Energie zuständig ist: „Wir müssen durch die verschärften Klimaziele Deutschlands und der EU von einem deutlich höheren Strombedarf ausgehen, als es bisher zugrunde gelegt wurde. Dazu wird mein Haus neue Berechnungen vorlegen", sagte der CDU-Politiker der Wirtschaftswoche. „Das heißt dann weiter, dass wir mehr Energie produzieren müssen, und zwar aus allen verfügbaren erneuerbaren Quellen: Windkraft und Photovoltaik.“

Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) sagte: „Dass die bisherigen Annahmen des Wirtschaftsministeriums zum künftigen Stromverbrauch nicht mehr zu halten sind, sage ich seit einem Jahr. Es ist gut, dass sich diese Erkenntnis nun durchsetzt.“ Für Elektroautos, Wärmepumpen und die Produktion von „grünem“ Wasserstoff brauche Deutschland mehr und nicht weniger Strom. Auch der Strommix müsse sich deutlich schneller ändern, hin zu mehr Strom aus Wind und Sonne. Wind- und Solarenergie müssten in diesem Jahrzehnt doppelt so schnell ausgebaut werden wie bisher.

Bei der Energiewende steht Deutschland vor großen Aufgaben. Bis Ende 2022 will das Land raus aus der Atomkraft, bis spätestens 2038 raus aus der klimaschädlichen Kohleverstromung – Stand jetzt: denn ein schnellerer Kohleausstieg könnte spätestens nach der Bundestagswahl noch einmal auf die Tagesordnung kommen.

Die schwarz-rote Bundesregierung hat zwar Klimaziele verschärft – als Reaktion auf das Klimaurteil des Bundesverfassungsgerichts, das im Kern besagt: Einschneidende Schritte zur Senkung von Emissionen dürfen nicht zulasten der jungen Generation auf die lange Bank geschoben werden.

Koalition verschläft Energiewandel

Doch bisher stehen die neuen Ziele nur auf dem Papier. So hat sich die Koalition bisher nicht geeinigt, in welchem Tempo die erneuerbaren Energien stärker ausgebaut werden sollen. Und die heftige Debatte über höhere Benzinpreise zeigt, wie schwierig Klimaschutz ist –wenn er konkret wird.

Dabei soll gerade der neue CO2-Preis aufs Tanken bewirken, dass die Menschen auf alternative Antriebe umsteigen. Millionen von E-Autos werden aus Sicht von Experten bis 2030 nötig sein, um die Klimaziele alleine im Verkehrssektor zu schaffen.

Die zunehmende E-Mobilität ist ein Grund dafür, warum viele Experten seit langem davon ausgehen, dass der Strombedarf in den kommenden Jahren deutlich steigt – auch wenn die Energieeffizienz steigt und der Eigenverbrauch etwa bei Kohlekraftwerken vor dem Hintergrund des Kohleausstiegs sinkt.

2019 lag der Strombedarf in Deutschland nach Angaben des Energieverbandes BDEW bei rund 568 Terrawattstunden. 2020 sank er – allerdings aufgrund von Corona-Sondereffekten. Für 2030 geht der BDEW von einem Strombedarf von etwa 700 Terrawattstunden aus – der Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE) sogar von 745 Terrawattstunden. Grund: zusätzlicher Strombedarf vor allem im Wärme- und Verkehrssektor für Wärmepumpen, die Elektromobilität sowie strombasierte Brenn-, Kraft- und Grundstoffe, auch bezeichnet als PtX („Power-to-X“). Auch die zunehmende Digitalisierung werde den Stromverbrauch erhöhen, sagte BDEW-Chefin Kerstin Andreae.

„Die Annahmen zur Entwicklung des Strombedarfs sind essenziell, um die Klimaziele zu erreichen und Versorgungssicherheit dauerhaft zu gewährleisten“, sagte BEE-Präsidentin Simone Peter am Freitag. Der Ausbau erneuerbarer Energien müsse dringend beschleunigt werden, um eine befürchtete „Ökostromlücke“ aufgrund höherer Klimaziele nicht noch zu vergrößern. Bis 2030 müsse der Anteil erneuerbarer Energien am Stromverbrauch von 42 auf 77 Prozent wachsen – das bisherige Ziel der Bundesregierung ist ein Anteil von 65 Prozent.

Netzausbau verzögert sich

Das bedeutet im Klartext: mehr Windräder an Land und mehr Solaranlagen. Vor allem der Ausbau der Windkraft aber kommt aus Sicht vieler derzeit nicht schnell genug voran. Das liegt auch an langen Planungs-und Genehmigungsverfahren und vielen Klagen, etwa aus Artenschutzgründen.

Dazu kommt der Netzausbau: Der vor allem im Norden produzierte Windstrom muss in den Süden transportiert werden, dazu werden tausende Kilometer neue Leitungen benötigt. Auch hier aber drohen jahrelange Verzögerungen.

„Wir brauchen heute 10 bis 15 Jahre, um eine Stromleitung zu planen, zu genehmigen und zu bauen“, sagte SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz am Freitag beim „Tag des deutschen Familienunternehmens“ in Berlin. Bei dem Tempo werde es schwierig, in 25 Jahren klimaneutral zu wirtschaften. „Wir müssen es hinkriegen, eine Stromleitung auch in zwei bis drei Jahren fertigstellen zu können.“

Altmaier will nun konkrete Vorschläge vorlegen, wie die erneuerbaren Energien viel stärker ausgebaut werden könnten. Ob sich die schwarz-rote Koalition aber noch zu einer Lösung durchringt, ist fraglich. Die Union hat bisher den Schwerpunkt darauf gelegt, Verbraucher und Unternehmen sollten bei den Strompreisen entlastet werden. Außerdem gibt es vor Ort zum Teil große Akzeptanzprobleme, wenn ein neues Windrad oder ein neuer Strommast errichtet werden soll. Scholz mahnte, Infrastrukturprojekte dürften nicht an der „Nimby“-Mentalität scheitern: „Not in my backyard“ – „Nicht in meinem Hinterhof“.

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