Als Börsenhändler am 15. September 2008 auf ihre Displays sahen, waren alle Kurse in tiefes Rot getaucht. Soeben erhielten sie die Nachricht, dass Lehman Brothers, eine der bis dahin größten und angesehensten Investmentbanken, Insolvenz anmelden musste. Die Insolvenzanmeldung löste ein Beben an der New Yorker Wall Street aus. Die Kursverluste sind die größten seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001. Und doch stellen sie nur den Anfang einer Finanzkrise dar, die in den kommenden Monaten die ganze Welt erfassen wird.
Wann spricht man von einer Finanzkrise?
Eine Finanzkrise geht oftmals mit einem Kursverfall an der Börse einher. Das wiederum schürt Panik unter Anlegern, die ihre Aktien verkaufen und den Kursverfall damit weiter beschleunigen. Ein Börsencrash ist die unmittelbare Folge. An einem einzigen Tag fallen die Kurse ins Bodenlose. Direkt betroffen von Finanzkrisen sind Banken, denn sie stehen im Zentrum der Finanzwelt und bekommen Verwerfungen an den Kapitalmärkten zuerst zu spüren.
Ist der Bankensektor erst einmal betroffen, können sich Finanzkrisen schnell weitreichende Folgen für die gesamte Wirtschaft haben. Zum Beispiel dann, wenn die Bürger das Vertrauen ins Finanzsystem verlieren. Es bilden sich dann lange Schlangen vor Bankautomaten und -filialen, weil die Bürger ihr Erspartes abheben und ihre Konten auflösen wollen. Man spricht hierbei auch von bank runs („Ansturm auf die Banken“). Diese gefährden die Liquidität der Banken und können sogar zu ihrem Zusammenbruch führen.
Der Zusammenbruch einer großen Bank kann aus einer Finanzkrise dann eine Weltwirtschaftskrise machen. So war es etwa 2008, als die Investmentbank Lehman Brothers beinahe über Nacht zusammenbrach. Da viele andere Banken und Investoren mit der Bank auf die eine oder andere Weise verbunden waren, breitete sich die Krise durch den Lehman-Zusammenbruch über Ländergrenzen hinweg aus. Betroffen waren dann nicht mehr nur Finanzinstitute, sondern beinahe alle Wirtschaftssektoren.
Wie entstehen Finanzkrisen?
Im Jahr 2007 mehrten sich die Anzeichen für einen Zusammenbruch des amerikanischen Immobilienmarktes, auch bekannt unter der Bezeichnung Subprime-Krise. Was viele Marktteilnehmer bis dahin für ausgeschlossen gehalten hatten – der US-Häusermarkt galt als grundsolide – wurde nun Realität.
Nach den Terroranschlägen vom 11. September hatte die Fed die Notenpresse angeworfen und die Leitzinsen gesenkt und somit viel billiges Geld in den Markt gepumpt. Die Banken vergaben gern Kredite mit denen sie gut verdient haben. Doch über die nächsten Jahre hinweg hatten US-Bürger ohne Kreditwürdigkeit Häuser erworben und konnten – nachdem die Leitzinsen wieder stiegen – nun ihre Hypothekenzahlungen nicht mehr begleichen. Die Kredite wurden faul und belasteten die Bilanzen der Banken. Um nicht auf dem Risiko sitzen zu bleiben, verkauften US-Banken die faulen Kredite an Kreditinstitute aus Übersee, darunter auch deutsche Banken. So bildete sich aus dem Nährboden der Krise des amerikanischen Immobilienmarktes eine globale Finanzkrise – die Weltfinanzkrise.
Als direkter Auslöser gilt der Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers. Lehman zählte zu diesem Zeitpunkt zu den größten Investmentbanken der Welt und hatte im Zuge des Börsencrashs Milliarden Dollar an Verlusten angehäuft. Durch die anschließende Insolvenz Lehmans gerieten auch andere große Konzerne wie der Versicherungsriese AIG unter Druck, der nur durch ein Eingreifen der US-Regierung vor der Pleite bewahrt werden konnte. Doch die Lehman-Insolvenz war nur der Tropfen, der das sprichwörtliche Fass zum Überlaufen brachte. Vorangegangen war (wie bei fast jeder Finanzkrise) eine Blase am Markt, die sich über Jahre gebildet hatte. In diesem Fall war es die Tatsache, dass Banken Millionen US-Bürgern Kredite für den Hauskauf gewährten, die nicht kreditwürdig waren.
Die Banken spekulierten bei der Kreditvergabe darauf, dass der US-Immobilienmarkt als solide galt und der Staat oder die Notenbank im Zweifel eingreifen würden. Als den Banken langsam dämmerte, dass sie auf den faulen Hypotheken sitzen bleiben würden, verschnürten sie diese zu Bündeln (sogenannte Collaterized Debt Obligations – CDO), ließen sie mit Hilfe der Ratingagenturen positiv bewerten und verkauften sie an andere Banken weiter. Dadurch wurde eine Spekulationsblase am US-Immobilienmarkt zu einer Finanzkrise, die weite Teile der Wirtschaft betreffen sollte.
Geldpolitik und Psychologie als Treiber von Finanzkrisen
Neben Spekulationsblasen, die oftmals im Zentrum einer jeden Finanzkrise stehen, spielen zwei weitere Gründe eine wichtige Rolle: Die Psychologie der Marktteilnehmer und die Geldpolitik der Notenbanken. Spekulationsblasen bilden sich vor allem deshalb, weil die Marktteilnehmer die Lage falsch einschätzen. Sie neigen dazu, das Potenzial einer Kapitalanlage drastisch überzubewerten, wenn sich die Börse im Aufschwung befindet. Andere Anleger folgen aus Angst, die große Chance zu verpassen. Sie vertrauen dabei eher auf ihr Bauchgefühl als auf harte wirtschaftliche Fakten.
Umgekehrt sehen Teilnehmer am Finanzmarkt die Lage in Zeiten des Abwärtstrends düsterer, als es die wirtschaftlichen Kennzahlen hergeben. Wenn die Kurse an der Börse ins Negative drehen, geraten sie in Panik und verkaufen ihre Wertpapiere. Damit lösen sie den Börsencrash erst aus, der in dieser verheerenden Form ohne die Panikverkäufe nicht stattgefunden hätte. Die Psychologie der Anleger spielt also bei jeder Finanzkrise eine wichtige Rolle.
Ein weiterer Grund für Finanzkrisen ist die Geldpolitik der Notenbanken, Die Notenbanken haben mit dem Leitzins ein wichtiges Instrument in der Hand, um die Finanzmärkte zu beeinflussen. Wenn der Leitzins niedrig ist, ist Geld „billig“ und Kredite werden leichter vergeben. Ist der Leitzins hoch, ist Geld „teuer“ und es werden weniger Kredite vergeben. Wenn die Notenbank die wirtschaftliche Lage falsch einschätzt – etwa, indem sie die Leitzinsen niedrig belässt, obwohl die Wirtschaft zu überhitzen droht – kann sie die Entstehung von Spekulationsblasen begünstigen.
Wenn die Leitzinsen, so wie aktuell der Fall, über lange Zeit hinweg auf historischen Tiefständen verharren, fördert das die Bildung von Spekulationsblasen. Denn klassische Kapitalanlagen wie Staatsanleihen und Festgeldkonten, die als risikoarm gelten, werfen dann kaum noch Rendite ab. Also werden Teilnehmer am Finanzmarkt gezwungen, sich nach risikoreicheren Anlagen umzusehen. Dies führt dazu, dass immer mehr Geld in Aktien fließt und die Kurse an der Börse von einem Hoch zum nächsten eilen.
Finanzkrisen vorauszusagen ist schwierig, aber nicht unmöglich
Die Spekulationsblase am US-Immobilienmarkt im Jahr 2007 konnte nur deshalb so groß werden, weil fast alle Marktteilnehmer davon überzeugt waren, eine Blase in diesem Wirtschaftssektor sei unmöglich. Jeder, der das Gegenteil behauptete, wurde verlacht. So erging es auch Michael Burry, Gründer des Hedgefonds Scion Capital und Kenner der US-Häusermarktes. Burry erkannte die Blase früh. Er verstand, dass all diese Menschen, die Hypotheken aufnahmen und sie nicht bezahlen konnten, zu einem Zusammenbruch des Immobilienmarktes führen würden.
Also beschloss Burry, etwas zu tun, was bisher noch niemand vor ihm tat. Er wollte auf den Zusammenbruch des Immobilienmarktes wetten, zu einem Zeitpunkt, als dies als verrückt galt. Es gab nicht einmal ein Finanzinstrument für eine solche Wette. Doch Burry überzeugte verschiedene Banken, ihm ein maßgeschneidertes Finanzprodukt – sogenannte Kreditausfallversicherungen oder Credit Default Swaps für den Subprime-Markt – zu schaffen. Denn die Banken witterten leicht verdientes Geld.
Doch es lief schlussendlich andersherum: Burry fuhr mit seinem Hedgefonds zu Beginn hohe Verluste auf seine riskante Wette ein. Doch mit dem Platzen der Immobilienblase fielen auch reihenweise die Kredite aus. Burry selbst konnte einen persönlichen Gewinn von 100 Millionen US-Dollar generieren, seine Anleger konnten sich über mehr als 700 Millionen US-Dollar Rendite freuen.