Richard Cantillon ist vor allem für seine „Abhandlung über die Natur des Handels im Allgemeinen“ bekannt. Ein zentrales Argument des irischen Ökonomen des 18. Jahrhunderts: Jede Geldproduktion schafft Profiteure und Verlierer. Die Gewinner sind diejenigen, die neues Geld zuerst erhalten und bei geringen Preisen einkaufen können. Die Verlierer bekommen das frisch geschöpfte Geld zuletzt und müssen höhere Preise bezahlen. Denn die Erstempfänger des Geldes haben die Preise bereits nach oben geboten.
Diesen Prozess kritisiert der Ökonom Jörg Guido Hülsmann in seinem Buch „Krise der Inflationskultur”. Der VWL-Professor der französischen Universität Angers sieht darin eine „massive Umverteilung“. „Man denke zum Vergleich an einen Croupier im Kasino, der einem der am Tisch sitzenden Pokerspieler gleich eingangs ein paar zusätzliche Asse zuschiebt“, schreibt Hülsmann. „Das Spiel ist noch nicht gespielt, aber er hat bereits die Oberhand.“
Doch wer bekommt das Geld zuletzt? Gunther Schnabl hat in einem Fachaufsatz eine Verlierer-Gruppe ausgemacht: Niedrige und mittlere Einkommensbezieher. Diese hielten vor allem Bankguthaben oder seien über Lebensversicherungen und anderen Anlagen in Anleihen investiert, die kaum Zinsen abwerfen. Reiche besäßen dagegen Vermögensgüter wie Aktien oder Immobilien, deren Preise durch die expansive Geldpolitik besonders kräftig steigen.
Geldpolitik senkt Löhne
Außerdem senke die laxe Geldpolitik die realen Löhne, erklärt Schnabl. Unternehmen könnten sich günstiger finanzieren und hätten weniger Anreiz, Innovationen voranzutreiben und die Produktion effizienter zu gestalten. Laut den Berechnungen Schnabls ist die Arbeitsproduktivität – also das erwirtschaftete Bruttoinlandsprodukt pro Arbeitsstunde – seit den Neunzigerjahren immer langsamer gewachsen. Von ursprünglich drei Prozent pro Jahr sank das Produktivitätsplus auf ein Prozent. „Da die Produktivitätsgewinne heute gleich null sind, ist der Spielraum für Lohnerhöhungen und den weiteren Ausbau der sozialen Sicherung verloren gegangen“, schreibt Schnabl.
Laut Jörg Guido Hülsmann gehören die Unternehmer und Angestellten der Finanzwirtschaft zu den Hauptprofiteuren. „Wenn beispielsweise eine Geschäftsbank der Eurozone von der Zentralbank 50 Mrd. Euro zu 1 Prozent geliehen bekommt und den gleichen Betrag zu 6 Prozent in Staatspapieren anlegen kann, so braucht sie den heutigen Regeln entsprechend keinen einzigen Cent Eigenkapital beizusteuern“, führt der VWL-Professor aus. Die Bank gewinne an der Operation 2,5 Mrd. Euro und ihr entstünden keine nennenswerten Risiken oder Kosten. „Sie erzielt ihr Ergebnis hauptsächlich dadurch, dass die Zentralbank ihr die 50 Mrd. günstig überlässt und gleichzeitig dafür sorgt, dass die Preise der Staatspapiere nicht allzu stark einbrechen“, kritisiert Hülsmann.
Die Jungen trifft es besonders hart
Gunther Schnabl bemerkt, dass die Produktivitätsverluste durch Niedrigzinsen vor allem die Jüngeren treffen. „Für die Älteren bleiben trotz der schleichenden Krise das Lohnniveau hoch und die Arbeitsplätze sicher“, schreibt der Leiter des Leipziger Instituts für Wirtschaftspolitik. „Für die, die neu oder wieder in das Arbeitsleben eintreten, wird abgespeckt.“ Etwa seien die realen Löhne von jungen Akademikern seit den Neunzigern gefallen.
Auch Großunternehmen profitierten, weil sie leichter an das billige Geld herankämen. Sie könnten Anleihen oder Aktien ausgeben und einer Bank mehr Sicherheiten für einen Kredit bieten. Das führe zu immer mehr Fusionen. „Mit der Konzentration im Finanz- und Unternehmenssektor wachsen die Gehälter der Manager der neuen nationalen Champions“, schreibt Schnabl.
Laut dem Leipziger Professor verändert die unkonventionelle Geldpolitik auch ganze Regionen. Gebiete mit vielen Großunternehmen entwickelten sich besser – der ländliche Raum mit vielen mittelständischen Firmen werde abgehängt. „In Deutschland ist beispielsweise Ostdeutschland, wo es nur ein DAX-Unternehmen gibt, in der wirtschaftlichen Entwicklung gegenüber dem Westen deutlich zurückgeblieben“, beobachtet Schnabl.Die Sicht von Hülsmann und Schnabl stützte kürzlich eine Simulation in einer Studie, die das Institut der deutschen Wirtschaft für die Stiftung Familienunternehmen erstellt hat. Dabei untersuchten die Autoren, wie sich eine länger andauernde Niedrigzinspolitik auf die Vermögen von Armen und Reichen auswirkt. Das Ergebnis: Die soziale Ungleichheit nahm in der Simulation zu. Zwar besäßen die ärmsten 10 Prozent der Deutschen auch Immobilien, die sich aufgrund der Niedrigzinspolitik verteuert hätten, erklärten die Autoren. Aber diese Bewertungsgewinne reichten „aufgrund der hohen Verschuldung in diesem Dezil nicht aus, die anfallenden Zinskosten zu decken.” Erst ab dem dritten Dezil, also den drittärmsten 10 Prozent, stieg das Gesamtvermögen im Zeitablauf. Am kräftigsten gewannen die obersten 10 Prozent. Diese halten viel Betriebsvermögen, das aufgrund des billigen Geldes höher bewertet ist.
Der Ökonom Jonathan Newman tritt deswegen für ein vollgedecktes Warengeld ein, etwa eine Gold- oder Silberwährung. Der Professor verweist auf Zahlen der US-Notenbank FED, wonach die soziale Ungleichheit seit Ende des Bretton-Woods-Abkommens im Jahr 1971 gestiegen ist. Damals hob Präsident Nixon die Goldbindung des US-Dollar auf. Die Folge: Der Gini-Koeffizient stieg von 0,35 auf zuletzt 0,45. Zuvor war das statistische Ungleichheitsmaß mit Werten zwischen 0 und 1 seit 1945 gesunken.
Inflation befeuert sich selbst
Für Newman liegt das Grundübel in der monopolisierten Geldordnung und der Teilreserve der Geschäftsbanken. Geld komme derzeit als Kredit in die Welt, den die Zentralbank an die Geschäftsbanken ausleihen würden – da sei Inflation vorprogrammiert. Ohne das Geldschöpfungsmonopol der Zentralbanken und mit einem vollgedeckten Warengeld wären anhaltend steigende Preise aber unwahrscheinlich. „Die Geldmenge könnte nur wachsen, wenn die Geldkosten der Geldproduktion geringer wären als die neue Geldmenge, die produziert werden kann”, erklärt Newman.
Für Gunther Schnabl ist indes klar, wer die Verlierer der lockeren Geldpolitik sind. „Schlecht sieht es für einen jungen Menschen ohne Vermögen aus, der in Sachsen-Anhalt, Nordhessen oder Österreichs südlichen Burgenland eine Beschäftigung bei einem kleinen oder mittleren Industrieunternehmen sucht“, schreibt der 55-Jährige. Bedeutet im Umkehrschluss: Es profitiert, wer älter ist, in der Finanzbranche arbeitet, viele Vermögensgüter besitzt, in einer Metropole arbeitet und bei einem großen Unternehmen angestellt ist.