„Der Zinseszinseffekt ist das achte Weltwunder“, soll Albert Einstein gesagt haben. „Wer ihn versteht, verdient daran, alle anderen bezahlen ihn.“ Was macht ihn so besonders? Er ist eine Geheimwaffe bei der Altersvorsorge: Die Zinsen der Zinsen führen zu exponentiellem Wachstum – damit allerdings tut sich unser Geist schwer. Wir Menschen denken lieber linear.
Weil unser Kopf mit solchen Rechnungen überfordert ist, gibt es Zinseszins-Rechner. Die zeigen erstaunliche Ergebnisse. Zusammengefasst: Je länger der Zinseszins wirken kann, desto stärkeren Anteil haben die Zinsen am Vermögen, das sich für das Alter aufbaut. Sprich: Geld arbeitet. Geld verdient Geld.
Exponentielles Wachstum ist fast wie ein Zaubertrick
Ein Beispiel: Man lässt 10.000 Euro mit einem Zins von 7 Prozent liegen und rührt die Zinsen nicht an. Das Startkapital bleibt immer gleich. Was passiert durch den Zinseszins im Lauf der Zeit?
- Nach dem ersten Jahr erhält man Zinsen von 700 Euro, nach dem zweiten schon 1.449 Euro und nach dem fünften 4.026 Euro. (Ohne Zinseszins wären es nur 5 x 700 Euro = 3.500 Euro.)
- Nach 10 Jahren beträgt der Zinseszins 9.672 Euro. (Statt 7.000 Euro beim einfachen Zins.) Er ist fast so hoch wie das Startkapital. Nach 15 Jahren sind es 17.590 Euro, nach 20 Jahren 28.697 Euro. Fast drei Mal so viel wie das Startkapital.
- Nach 30 Jahren ist das Anfangs-Kapital in der deutlichen Minderheit. Der Zinseszins beträgt nun 66.123 Euro und nach 40 Jahren 139.745 Euro. Simsalabim! Über den einfachen Zins hätte man nur 28.000 Euro erzielt.
Die Rechnungen zeigen: Der mächtigste Hebel bei der Altersvorsorge ist die Zeit. Dann kommt die Höhe des Zinses. Schön und gut, aber woher nimmt man 7 Prozent Zinsen?
Wer an den Börsen langfristig denkt, gewinnt
Solche festverzinslichen Papiere sucht man zwar vergebens – aber 7 Prozent entsprechen etwa der mittleren langfristigen Rendite pro Jahr, wenn man in die Aktienmärkte der Welt investiert, abzüglich Inflation und Gebühren. (Indexfonds/ETFs auf den Welt-Index MSCI World haben seit 1975 eine durchschnittliche Rendite von 9 Prozent pro Jahr erzielt.)
Um den Zinseszins-Effekt auszukosten, kennt sogar der Deutsche Aktienindex (Dax) einen Trick, der ihn international gut dastehen lässt. Anders gesagt: Er bläht sich auf. Wie macht der Dax das?
Weltweit ist es üblich, dass Indizes die reinen Kurse der enthaltenen Aktien darstellen, ohne die ausgeschütteten Dividenden der Unternehmen. So machen es zum Beispiel Dow Jones und S&P 500 in den USA, Nikkei 225 in Japan, britischer FTSE 100 und indischer BSE Sensex. Auch der französische CAC 40 ist ein Kursindex, ebenso wie der Hang Seng aus Hongkong.
Der Dax mach eine bella Figura mit dem Zinseszins
Der Dax wendet einen Trick an und bezieht die ausgeschütteten Gewinne ein. Auch der brasilianische BOVESPA ist ein Performance-Index. Das ist so, als ob man angefallene Zinsen aufhäuft und weiter verzinst. Die paar Dividenden sollen einen Unterschied machen? Jawohl! Denn das ist der Zinseszins-Effekt, von dem Einstein spricht.
Der Dax ging am 31. Dezember 1987 an den Start, mit 1.000 Punkten. Als Kursindex gerechnet, ist er am 9. Februar 2022 bei rund 6.540 Punkten. Als Performance-Index steht er am selben Tag bei rund 15.500 Punkten. Das ist fast 2,4-mal so viel! Und alles wegen der Dividenden. Die werden oft sogar monatlich oder pro Quartal ausgeschüttet und hebeln den Zinseszins noch stärker als bei jährlichen Ausschüttungen.
Automatisiert, bequem und langfristig den Zinseszins auskosten
Was kann man für Geldanlage und Altersvorsorge daraus lernen? Man lässt die Ausschüttungen liegen, damit sie sich weitervermehren. Wenn man klugerweise Altersvorsorge mit Indexfonds/ETFs betreibt, dann ist es am bequemsten, thesaurierende ETFs zu nehmen, die die Ausschüttungen automatisch wieder anlegen. So bauen sie ganz von selbst ein Vermögen auf. Natürlich kann man die Dividenden auch selbst wieder investieren. Wenn man das aber den ETF machen lässt, ist es steuerlich günstiger.
Ein beeindruckendes Beispiel für das exponentielle Wachstum durch Zinseszins ist die Geschichte vom Schachbrett und den Weizenkörnern: Der Legende nach soll der indische Herrscher Shihram seine Untertanen tyrannisiert haben. Als er eines Tages das Schachspiel für entdeckte, soll er dem Erfinder des Spiels einen Wunsch gewährt haben. Dieser wünschte sich Weizenkörner. Und zwar ein Korn auf das erste Feld des Schachbretts, zwei Körner auf das zweite Feld und so sollte sich die Anzahl der Körner bei jedem Feld weiter verdoppeln. Der Herrscher gewährte ihm den Wunsch und lachte über die Bescheidenheit des vermeintlichen Dummkopfs. Doch die „Rendite“ pro Feld liegt bei 100 Prozent. Da das Schachbrett 64 Felder hat, lägen am Ende rund 18,5 Trillionen Weizenkörner auf dem Spielfeld. Das ist nach heutigen Maßstäben das Tausendfache der globalen Weizenernte. Ein wahres Weltwunder!