Der Dax ist eben doch der Dax: Zur Rückkehr der Commerzbank in die erste deutsche Börsenliga Ende Februar 2023 läutete Vorstandschef Manfred Knof fast ausgelassen die Glocke zum Handelsstart auf dem Frankfurter Börsen-Parkett. Vorgänger Martin Zielke hatte den Abstieg des Dax-Gründungsmitglieds aus dem deutschen Leitindex im Herbst 2018 - ausgerechnet im Jahr des 30. Dax-Jubiläums - noch betont gelassen kommentiert: „Für die Bedeutung der Bank für die deutsche Volkswirtschaft ändert sich überhaupt nichts.“
Tatsächlich ist die Zugehörigkeit zum inzwischen 35 Jahre alten Deutschen Aktienindex nicht nur eine Frage von Prestige. Ein Platz im Schaufenster der deutschen Wirtschaft garantiert Aufmerksamkeit und lockt internationale Investoren. Indexfonds (Exchange Traded Fund/ETFs), die die Dax-Zusammensetzung nachbilden, müssen je nach Indexaufstellung umschichten, was in der Regel Einfluss auf die Aktienkurse bestimmter Titel hat.
Der zum 1. Juli 1988 eingeführte Dax hat heute ein Millionenpublikum: Abend für Abend zur besten Sendezeit wird der aktuelle Stand im Fernsehen vermeldet, die schwarze Anzeigetafel mit der weißen Kurve aus dem Frankfurter Handelssaal gehört zu Hessens größter Stadt wie ihre Banken-Skyline.
Bis zur Schaffung des Dax herrschte Durcheinander: Deutschland habe mehr Aktienindizes als Aktien, spotteten ausländische Beobachter in den 1980er Jahren. Es gab einen Index der «Börsen-Zeitung», einen der Commerzbank, einen der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Rüdiger von Rosen, der den Dax mit aus der Taufe hob, erklärte später: „Wir wollten ein nach außen wirkendes Symbol haben, vergleichbar dem Dow Jones.“
In seinen ersten Tagen firmierte der neue Index als „DAI“. Doch seine Gründerväter fanden das auf Dauer ungeeignet. „Das klang zu japanisch“, erinnerte sich später Manfred Zaß, der lange in führenden Positionen bei der Deutschen Börse und später Dekabank-Chef war. Zudem habe „dieser etwas hölzernen Bezeichnung“ in dem sich abzeichnenden digitalen Zeitalter „Charme und Symbolkraft“ gefehlt. „Bulle, Bär und Ibis existierten bereits, da habe ich von Index nicht den ersten, sondern den letzten Buchstaben übernommen“, schilderte Zaß. Die Bezeichnung „Dax“ war geboren.
Lange wurde der Dax von vier Branchen dominiert: Chemie, Automobil, Energie, Finanzen. Elf Konzerne sind seit dem Dax-Start ohne Unterbrechung in dem Index gelistet: Allianz, BASF, Bayer, BMW, Daimler (zuvor Daimler-Benz), Deutsche Bank, Eon (2006 entstanden aus Veba und Viag), Henkel, RWE, Siemens und Volkswagen.
Inzwischen sind aus 30 Konzernen in der ersten deutschen Börsenliga 40 geworden: Zum 20. September 2021 brachte die Deutsche Börse die Erweiterung auf den Weg. Das Ziel: Die deutsche Wirtschaft repräsentativer abbilden. So sollen zum Beispiel auch aufstrebende Internetfirmen bessere Chancen auf einen Platz im Dax bekommen.
Zudem gelten als Konsequenz aus dem Bilanzbetrug und verspäteten Dax-Rauswurf des Münchner Zahlungsdienstleisters Wirecard strengere Regeln für Unternehmen, die in den Dax aufrücken und dort bleiben wollen. Aufgenommen werden nur noch profitable Unternehmen.
Profitieren können auch Anleger, vor allem, wenn sie einen langen Atem haben: Seit seiner Einführung am 1. Juli 1988 mit 1163 Punkten legte das wichtigste deutsche Börsenbarometer kräftig zu. In jüngster Vergangenheit ging es von Rekord zu Rekord, am 16. Juni 2023 stieg der Dax erstmals in seiner Geschichte über die Marke von 16 400 Punkten.
Der tiefste Schlussstand des Dax liegt schon ziemlich lange zurück: Am 29. August 1988 fiel das Börsenbarometer auf 1152 Punkte. Rasant abwärts ging es auch um die Jahrtausendwende nach dem Platzen der New-Economy-Blase am Neuen Markt. Bis auf 2202 Zähler am 12. März 2003 sackte der Leitindex damals ab.
Der Absturz der als „Volksaktie“ angepriesenen Telekom-Papiere und das Platzen der New-Economy-Blase lasten bis heute auf der Aktienkultur in Deutschland. Kein Wunder daher, dass der deutsche Leitindex mehrheitlich in ausländischem Besitz ist: Einer EY-Analyse aus dem September zufolge liegt bei mindestens 24 der 40 Dax-Konzerne die Mehrheit der Aktien in Depots im Ausland.