Vorsorge

Top-Ökonom: „Das Rentensystem steht vor dem Ruin“

Lesezeit: 5 min
09.06.2021 13:41
Die Aussagen von führenden Wissenschaftlern zum Rentensystem sind mehr als deutlich. Zu lange hat die Politik weggesehen. Jetzt könnte uns das ganze System „um die Ohren fliegen“.
Top-Ökonom: „Das Rentensystem steht vor dem Ruin“
Wann wird das Rentensystem implodieren? (Foto: Pixabay)

Wissenschaftler haben die Politik aufgefordert, vor den Problemen bei der Finanzierung der Rentenversicherung nicht die Augen zu verschließen. „Der demografische Wandel ist eben da“, sagte Axel Börsch-Supan, bei dem die Federführung eines Gutachtens des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundeswirtschaftsministerium lag, der eine Anhebung des Renteneintrittsalters auf 68 Jahre empfiehlt. Der Ökonom Bernd Raffelhüschen warnte gar: „Das Rentensystem steht vor dem Ruin.“

Das unabhängig arbeitende Expertengremium hatte in seiner Expertise erklärt, es drohten „schockartig steigende Finanzierungsprobleme in der gesetzlichen Rentenversicherung ab 2025“. Der Beirat schlägt vor, das Renteneintrittsalter bis 2042 weiter auf 68 zu erhöhen. Derzeit wird es schrittweise bis 2029 auf 67 Jahre angehoben. Politiker von SPD, Grünen und Linken hatten empört auf die Empfehlung reagiert, auch aus der Union kam Ablehnung. Doch Lösungsansätze für das Dilemma wurden auch von keinen Seiten präsentiert. Die Gewerkschaft warnte vor drastischen Rentenkürzungen.

Börsch-Supan sagte im ZDF-„heute journal“, wie beim Klimawandel habe man sich lange gescheut, die Probleme ernst zu nehmen. Derzeit gingen 28 Prozent des Bundeshaushaltes in Rentenzahlungen. Wenn nichts passiere, könnte der Anteil bis auf die Hälfte steigen. „Das geht natürlich nicht gut“, warnte der Direktor am Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik in München.

Der Ökonom Raffelhüschen sagte der „Bild“: „Die Bundesregierung kann jetzt nur noch zwischen Pest und Cholera wählen: Entweder hebt sie die Beitragssätze für die Rentenkasse auf fast 28 Prozent an. Oder der Bundeszuschuss muss extrem wachsen.“ Wie auch immer sich die Politik entscheide: „Am Ende wird uns das Rentensystem um die Ohren fliegen“, sagte der Ökonom von der Universität Freiburg.

Der Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), Sebastian Dullien, sieht allerdings keine Notwendigkeit für eine jetzige Diskussion um ein höheres Renteneintrittsalter. „Mir ist nicht ersichtlich, warum man jetzt schon darüber reden sollte, was danach in den 2030er Jahren mit dem Renteneintrittsalter passiert. Ob jemand in den 2030ern einen Monat früher oder später in Rente gehen darf, muss niemand zur Planungssicherheit bereits heute wissen“, sagte Dullien den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Annahmen zur Entwicklung der Bevölkerung und Rente mit mehr als zehn Jahren Vorlaufzeit hätten sich in der Vergangenheit oft als falsch herausgestellt.

Rente wird zum Wahlkampfthema

Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken bekräftigte das Nein ihrer Partei: „Die schrittweise Erhöhung der Regelaltersgrenze auf 67 Jahre bis 2031 fängt die steigende Lebenserwartung voll auf. Eine weitere Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters lehnen wir ab“, sagte Esken den Funke-Zeitungen.

Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hatte am Dienstag auf Twitter mehrfach geschrieben, er sei seit jeher gegen eine weitere Anhebung des Renteneintrittsalters. Es bleibe bei der Erhöhung auf 67 Jahre. Auch CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt hatte sich am Dienstag ablehnend zu den Vorschlägen der Berater des Ressorts von Altmaier geäußert. Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus hatte betont, eine weitere Anhebung der Renten-Altersgrenze sei kein Thema. Linke-Fraktionschef Dietmar Bartsch forderte CDU-Chef Armin Laschet in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (Mittwoch) auf, er müsse „den Wählerinnen und Wählern reinen Wein einzuschenken, ob die Union das Renteneintrittsalter auf 68 anheben will“.

Die Junge Gruppe in der Unionsfraktion wandte sich ebenfalls gegen den Expertenvorschlag. „Wer glaubt, man rettet die Rente, indem wir jetzt nur an der Altersschraube drehen, der irrt“, sagte die Vorsitzende der Jungen Gruppe, Emmi Zeulner (CSU), den Funke-Zeitungen. Den Mitgliedern des Sachverständigenrats warf Zeulner vor, diese seien „nicht auf der Höhe der Zeit“. Die Idee, dass es „ein Renteneintrittsalter für alle“ gebe, sei „völlig veraltet“. Vielmehr brauche es hier mehr Flexibilität. Die Arbeitswelt werde immer unterschiedlicher.

Zugleich mahnte die CSU-Politikerin eine Rentenreform an, die der jungen Generation mehr Sicherheit gebe. „Die Jungen müssen wieder glauben können, dass sie auch mal eine Rente bekommen.“ Das werde nur mit einer kapitalgedeckten Altersvorsorge gelingen.

Bürger sind gegen Anhebung des Rentenalters

Das Renteneintrittsalter sollte nach Ansicht der meisten Deutschen nicht an die Lebenserwartung gekoppelt werden. Das geht aus einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov hervor, die sich explizit auf den Vorschlag bezog, die Rente mit 68 einzuführen. Demnach stimmten 70 Prozent der Deutschen nicht der Aussage zu, das Renteneintrittsalter solle an die Lebenserwartung gekoppelt werden. 20 Prozent der Befragten stimmten zu, 11 Prozent machten keine Angabe.

Männer sprachen sich deutlich häufiger für die Kopplung aus als Frauen (26 Prozent und 14 Prozent). Unterschiede ergaben sich auch je nach Parteipräferenz: Am häufigsten stimmten Anhänger der FDP der Aussage zu (50 Prozent), am seltensten Anhänger der Linken (10 Prozent).

***

Altersvorsorge-neu-gedacht.de ist eine Publikation von Bonnier Business Press Deutschland und ist Ratgeber zu den Themen Vorsorge und Geldanlage.

ANG
Börse
Börse Aktien Europa: Ruhiger Wochenstart mit Gewinnen - Doch Bankensorgen bleiben

Die Angst vor einer neuerlichen Bankenkrise bleibt an den Märkten präsent.

ANG
Karriere
Karriere Vermögen: „Deutschland könnte mehr Ungleichheit vertragen“

Medien, Gewerkschaften und Politiker prangern die hohe Vermögenskonzentration in Deutschland an. Doch ist Ungleichheit tatsächlich...

ANG
Börse
Börse Deutsche Börse mit Niederlage im Streit um Milliarden aus dem Iran

Die Deutsche Börse muss sich derzeit mit alten Rechtsstreitigkeiten herumschlagen.

ANG
Geldanlage
Geldanlage Neobroker - eine gute Sache für Privatanleger?

In den zurückliegenden Jahren hat sich das Angebot an Online-Brokern regelrecht vervielfacht. Doch worin genau liegen die Vorteile der...

ANG
Börse
Börse Finanzmärkte stabilisieren sich nach Not-Übernahme der Credit Suisse

Mit der Notübernahme der Credit Suisse durch die Schweizer Großbank UBS konnten die heftigen Bankenturbulenzen zunächst eingedämmt...

ANG
Börse
Börse Höhere Rendite: Lohnen sich Unternehmensanleihen?

Unternehmensanleihen bringen mehr Rendite als Staatsanleihen, sind aber auch ausfallgefährdeter. Lohnt sich der Kauf?

ANG
Börse
Börse EZB entschlossen im Kampf gegen Inflation trotz Bank-Turbulenzen

Die Europäische Zentralbank erhöht zum sechsten Mal in Folge die Zinsen. Trotz der jüngsten Unsicherheiten in der Bankenbranche hält...

ANG
Immobilien
Immobilien Sanierungszwang? EU-Parlament stimmt über neue Gebäudevorgaben ab

Damit die EU bis 2050 klimaneutral wird, muss noch einiges passieren. Deswegen sollen besonders energieineffiziente Gebäude saniert...