2022 dürfte ein Aktienjahr mit neuen Rekordständen werden, prognostizieren die meisten Kapitalmarktbeobachterinnen und -beobachter. Jedoch werden Zuwächse wie in 2021 nicht erwartet. Denn steigende bzw. hohe Inflationszahlen, die Ausbreitung der Omikron-Virusvariante und Lieferengpässe in vielen Branchen und Bereichen bleiben auch 2022 anspruchsvolle Begleiter.
Trotz vieler negativer Einfluss-Faktoren gelang im vergangenen Börsenjahr dem US-Index S&P 500, der insgesamt 70 Rekordschlussstände erreicht hatte, ein Kursplus von 27 Prozent. Vor allem die asiatischen Märkte hielte da nicht mit: Der Hang Seng verlor gut 14 Prozent, der Nikkei 225 legte um knapp 5 Prozent zu, der Shanghai Composite in gleicher Höhe. In Europa zog der Euro Stoxx 50 um 20 Prozent an und der FTSE 100 um 14 Prozent. Der DAX war mit einem Aufschlag von 16 Prozent international solide unterwegs. Am 18. November 2021 hatte er sein bisheriges Allzeithoch von 16.290 Zählern erreicht.
DAX zwischen 15.000 und 18.000 Zählern erwartet – Rückschläge möglich
Für 2022 erwarten die meisten Analysten und Analysten den DAX zwischen 15.000 und 18.000 Punkten. Der anhaltende Anlage-Notstand schüre den Optimismus, die erwarteten Gewinnsteigerungen der Unternehmen und ein zweiter Konjunktur-Frühling dürften positiv honoriert werden. Aber: Rückschläge seien nicht ausgeschlossen, angesichts der Risiken von Inflation bis Konjunktur und Zinsen. Die enormen Steigerungen des Corona-Jahres 2020 sollten sich erneut nicht wiederholen lassen, denn die geldpolitische Unterstützung ändert sich, während die Pandemie noch anhält.
Deutsche Bank: „Jahr der Zinswende in den USA. Starkes BIP-Wachstum in Europa“
Mit dem Handelsauftakt in das neue Börsenjahr starten die Investor*innen voraussichtlich auch in das erste Quartal seit 2018, in dem die US-Notenbank FED die Leitzinsen erhöht. „Das Jahr der Zinswende“ erwartet Ulrich Stephan, Anlagestratege bei der Deutschen Bank. Anhaltend hohe Inflationszahlen und die Entwicklung der Wirtschaft werde vor allem die US-Notenbank FED zum Handeln zwingen. Die Leitzinsen in den USA dürften Mitte 2022 steigen, in der Eurozone erst gegen Ende 2023.
Das alles bestimmende Thema werde die Inflation sein, ergänzt Stefan Schneider, Volkswirt bei Deutsche Bank Research. Für die USA sieht er 4,4 Prozent Inflation, was sich aber im Laufe des Jahres abschwächen könnte. In der Eurozone sieht er 2,8 Prozent Preissteigerungen. Vor allem die Konjunktur dürfte wieder Konjunktur haben: Die Wirtschaft der Eurozone sollte sich im neuen Jahr seit Jahren besser entwickeln als in den USA. Die Schlussfolgerung der Deutschen Bank lautet: 17.000 DAX-Punkte für 2022.
Commerzbank: „17.000 DAX-Punkte und mögliche Rückschläge“
„Wir erwarten, dass sich die weltwirtschaftliche Lage 2022 weiter normalisiert“, startet auch der Chefanlagestratege der Commerzbank, Chris-Oliver Schickentanz, mit guten Nachrichten. Zunächst. Vor allem in Europa dürfte die Wirtschaft wachsen – einerseits durch eine deutlich niedrigere Ausgangsbasis, die höhere Bedeutung der verarbeitenden Industrie und eine steigende Konsumlaune, wenn die Pandemie eingedämmt sei. Allerdings gäbe es „keine Gewähr, dass die Lieferengpässe wie von uns erwartet tatsächlich im April auslaufen“. Die hohe Inflation könne zudem die Notenbanken veranlassen, schneller zu handeln, als von vielen erwartet.
Für den DAX sieht Schickentanz „ein deutliches Überspringen der 17.000-Punkte-Marke“. Im besten Fall seien sogar 18.000 Zähler möglich. Im zweiten Börsenhalbjahr könnten die konjunkturellen Unsicherheiten und Sorgen über die Entscheidungen der Notenbanken zunehmen: „Dann sind auch temporär kräftigere Rückschläge nicht ausgeschlossen.“
Helaba: „Hohe Inflation, hohe Volatilität, steigende US-Zinsen, DAX 15.000 bis 16.500“
Nicht ganz so optimistisch ist Christian Schmidt von der Helaba: Die Wirtschaft werde in Deutschland wieder Fahrt aufnehmen. Allerdings erst im Jahresverlauf, wenn die Lieferengpässe überwunden seien. Doch das bleibt nicht ohne Folgen: „Die steigende Wachstumsdynamik bei hohen Inflationsraten wird die Erwartungen von Zinserhöhungen treiben, so dass zwischenzeitlich mit einer deutlichen Korrektur an den Aktienmärkten gerechnet werden muss – eine höhere Risikoaversion und Volatilität gibt es dann inklusive.“
Christian Schmidts Prognose für den DAX lautet 15.000 im ersten Quartal, ein Anstieg auf 16.500 im zweiten, ein nahezu gehaltenes Niveau von 16.200 Zählern im dritten Jahresviertel und im Schlussspurt 16.000 Punkte, während das Potential des S&P 500 weitgehend ausgereizt sei.
DZ Bank: „DAX 18.000 – Doch was leistet die neue Regierung?“
DZ Bank Chefvolkswirt Michael Holstein fürchtet, dass sich die neue Regierung „in Reformen verzettelt“: Nach anfänglicher Euphorie könnten wirtschaftspolitische Ziele scheitern – etwa Beispiel bei der Wohnungsplanung. „400.000 neue Wohnung im Jahr zu bauen, dürfte an Personal- und Materialmangel scheitern“, erklärt Holstein. Neben dem Klimawandel ist vor allem die Alterssicherung eine der zentralen Herausforderungen. Helfen könnten ein flexibles Renteneintrittsalter und ein staatlich geförderter Aktienfonds. „So lange die Zinsen niedrig sind, sollte man damit starten“, fordert Holstein von der Politik.
Der Chefanlagestratege der DZ Bank, Christian Kahler, erwartet zwischen den Indizes in den USA und Europa „ein Kopf-an-Kopf-Rennen“. Für den DAX sagt Kahler historische 18.000 Punkte voraus: „Wenn die Aufträge aufgrund von besser funktionierenden Lieferketten erfüllt werden können, ist die Fahrt frei – insbesondere für Zykliker und deutsche Aktien.“
„US- und europäische Aktien Kopf an Kopf“
Auch Robert Halver erwartet ein „Kopf-an-Kopf-Rennen“ zwischen europäischen und US-Aktien: „US-Aktien profitieren von attraktiven Standortqualitäten in Form vergleichsweise niedriger Unternehmenssteuern, Infrastrukturmaßnahmen und natürlich durch einen gewaltigen Digitalisierungs- und damit Wettbewerbsvorsprung. Doch im Vergleich zu den USA dürfte das Tempo der konjunkturellen Erholung in Europa aufgrund von Basiseffekten höher ausfallen.“
Damit es aber als Nachholeffekte europäischer zu US-Aktien gäbe, sei eine durchgreifende Investitions- und Reformpolitik unerlässlich.
Erste Handelstage: Konjunktur spielt Hauptrolle
Für den Jahresauftakt erwarten Analyst*innen neue Aufschlüsse seitens der Konjunktur, die in der ersten Handelswoche im neuen Jahr die Hauptrolle spielen dürfte: So stehen der US-Arbeitsmarktbericht und das Protokoll der jüngsten FED-Sitzung an sowie die Inflation im Euroraum und Zahlen zur deutschen Industrie: So erwartet die Commerzbank, dass die Inflation im Dezember auf 4,5 Prozent gefallen sei und damit ihren Höhepunkt vom November mit 4,9 Prozent überschritten haben sollte.
Skeptisch sei man hingegen für den US-Arbeitsmarkt: „Hochfrequenzdaten zu Mobilität, Restaurantbesuchen und Zahl der Flugpassagiere weisen auf eine leicht nachlassende Aktivität der Verbraucher in den vergangenen Wochen hin, ohne dass ein regelrechter Einbruch zu verzeichnen wäre“, heißt es. Diese Indikatoren seien in der Vergangenheit ein recht guter Hinweis auf die Entwicklung der Beschäftigung in den zahlenmäßig entscheidenden Dienstleistungsbranchen gewesen. Conclusio: „Damit zeichnet sich für Dezember ein eher mäßiger Arbeitsmarktbericht ab.“ Die Zahl der neu geschaffenen Stellen sollte mit 220.000 auf einem ähnlichen Niveau wie im November liegen. In der Industrieproduktion in Deutschland dürfte es für Dezember das nächste Plus gegeben haben.