Tatsächlich gibt es keinen regulären Fahrplan, wie Unternehmen die Umstellung von einer 40- auf eine 30-Stunden-Woche gestalten können oder sollten. Das hat Vorteile, denn so können sich Arbeitgeber für dasjenige Modell entscheiden, das am besten zu ihrer Geschäftstätigkeit passt.
Schauen wir uns dazu zunächst an, wie die 30-Stunden-Woche bereits erfolgreich umgesetzt wurde:
Toyota-Werk in Göteborg: Dieses Fallbeispiel gehört zu den beliebteren im Hinblick auf die 30-Stunden-Woche, denn in diesem Toyota-Werk in Schweden war die Reduzierung der Arbeitszeit ein voller Erfolg. Schon 2003 hat sich die Firmenleitung dazu entschlossen, die Arbeitszeit ihrer Beschäftigten von täglich acht auf sechs Stunden zu reduzieren. Die Arbeitnehmer kommen also immer noch an fünf Tagen pro Woche zur Arbeit, arbeiten täglich aber zwei Stunden weniger. Das lohnt sich – und zwar für beide Seiten. Denn die Mitarbeiter haben deutlich mehr Freizeit und sind motivierter, während das Unternehmen nachweislich seinen Umsatz steigern konnte und nun zufriedenere Mitarbeiter hat.
IT-Agentur Lasse Rheingans in Bielefeld: Zugegeben, die Schweden sind häufig Vorreiter, wenn es um innovative (Arbeits-) Konzepte geht, daher wollen wir Ihnen eins der deutschen Unternehmen, das die 30-Stunden-Woche ausprobiert hat, nicht vorenthalten. Die IT-Agentur aus Bielefeld hat die wöchentliche Arbeitszeit reduziert, dabei aber gleichzeitig starre Regeln eingeführt: Alle Mitarbeiter arbeiten von 8 bis 13 Uhr voll konzentriert und in Stille an ihren Aufgaben. Heißt: Kein Klatsch und Tratsch in der Kaffeeküche und keine kurzen Gespräche zwischen Tür und Angel oder auf dem Büroflur. Sondern wirklich konzentriertes Arbeiten möglichst ohne Unterbrechung. Mit dieser Strategie ist die Agentur erfolgreich, denn so ist die 30-Stunden-Woche für alle Beschäftigten möglich – und das sogar, ohne das Gehalt kürzen zu müssen.
Gründe für die 30-Stunden-Woche
Die Idee hinter der 30-Stunden-Woche ist also keine neue Erfindung. Wie wir gesehen haben, gibt es Firmen, die schon vor einigen Jahrzehnten Erfahrungen mit dem Modell gesammelt haben. Doch aktuell wird die 30-Stunden-Woche wieder etwas häufiger diskutiert. Zu Beginn der Corona-Pandemie haben sowohl einige Gewerkschaften als auch die Linkspartei gefordert, sich intensiver mit dem Modell auseinanderzusetzen. Die Gründe:
Gesteigerte Produktivität: Es zeigt sich, dass Beschäftigte heute in 40 Stunden mehr leisten als noch vor einigen Jahren und daher dem Unternehmen einen höheren Umsatz bescheren. Diese Fortschritte in der Produktivität müssten allen Geschäften zugutekommen, so die Linkspartei.
Strukturwandel ausgleichen: Die Gewerkschaften sehen in der 30-Stunden-Woche ein Mittel, um dem Strukturwandel entgegenzuwirken. Denn in der Industrie werden mit fortschreitender Digitalisierung Arbeitsplätze verschwinden. Die 30-Stunden-Woche könnte dabei helfen, diesen Verlust auszugleichen.
Mehr Gleichberechtigung: Wenn beide Partner nur noch 30 Stunden pro Woche arbeiten, können sie sich die Aufgaben, die in der Familie anfallen, besser aufteilen. Aktuell wird in Deutschland noch häufig das Versorgermodell gelebt: Der Mann arbeitet Vollzeit, während die Frau in Teilzeit arbeitet und den größten Teil der unbezahlten Care-Arbeit übernimmt. Gibt es ein Umdenken hin zur 30-Stunden-Woche, haben die Männer mehr Zeit, sich bei der Sorgearbeit zu beteiligen. Für Frauen, die dann genauso viel arbeiten würden wie die Männer, bedeutet die 30-Stunden-Woche damit auch mehr Geld im Alter. Denn die spätere Rente wird maßgeblich vom Erwerbseinkommen beeinflusst. Und wer aufgrund von Teilzeitarbeit weniger arbeitet, verdient auch weniger – und erwirbt daher weniger Rentenansprüche.
Weitere Vorteile der 30-Stunden-Woche
Zusätzlich zu diesen gesamtgesellschaftlichen Gründen, die für die 30-Stunden-Woche sprechen, gibt es noch weitere Vorteile, die dieses Modell mit sich bringt:
Mehr Mitarbeitermotivation und Produktivität: Die verschiedenen Versuche von Unternehmen und unterschiedliche Studien zeigen, dass Mitarbeiter, die ihre Arbeitszeit von 40 auf 30 Stunden reduzieren können, motivierter und produktiver arbeiten. Eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung konnte zeigen, dass längere Arbeitszeiten nämlich nicht zwingend bedeuten, dass die Beschäftigten produktiver wären. Im Gegenteil. In Deutschland arbeiten Erwerbstätige mit etwas mehr als durchschnittlich 34 Stunden im Vergleich zu anderen Beschäftigten in Europa relativ wenig, kommen in dieser Zeit aber auf die dritthöchste Produktivität. Andere Studien, wie zum Beispiel die Untersuchung der Faculty of Business and Economics der University of Melbourne konnte zeigen, dass schon nach 25 Stunden wöchentlicher Arbeitszeit die kognitiven Leistungen der Beschäftigten abnehmen. Gerade für Unternehmen, die auf Innovationen angewiesen sind, kann die 40-Stunden-Woche daher eher kontraproduktiv sein.
Niedrigerer Krankenstand: Die 30-Stunden-Woche kann dazu beitragen, dass Mitarbeiter weniger krankheitsbedingt ausfallen. In einem Krankenhaus in Schweden zeigte sich das deutlich. Die Beschäftigten, die sich zuvor aufgrund der anstrengenden Arbeitsbedingungen immer wieder krankmeldeten, profitierten von der 30-Stunden-Woche. Sie hatten nämlich mehr Zeit, sich von ihrem fordernden Arbeitsalltag zu erholen und zu regenerieren und waren daher weniger krank. Was für diese Beschäftigte gilt, gilt auch für andere Branchen. Mitarbeiter, die mehr Freizeit haben, sind weniger gestresst und kommen mit den Anforderungen des modernen Alltags besser zurecht.
Bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie: Dieses, vor allem bei Arbeitgebern beliebte Schlagwort, kann mithilfe der 30-Stunden-Woche wirklich Realität werden. Denn Beschäftigte, die deutlich weniger arbeiten müssen, haben nicht nur mehr Freizeit, sondern generell mehr Zeit – eben auch für Familie und Freunde. Gerade für Frauen, die aktuell noch häufig in eine Teilzeitposition wechseln, wenn sie Kinder bekommen, kann die 30-Stunden-Woche eine echte Erleichterung und ein Fortschritt sein. Mit einer 30-Stunden-Woche und annähernd gleicher Bezahlung wie in der Vollzeitposition, können sie sich um ihre Familie kümmern, ohne Angst vor Altersarmut haben zu müssen.
Gestärkte Arbeitgebermarke: Statt kostenlosem Kaffee und einem Tischkicker im Büro, haben Arbeitgeber mit einer 30-Stunden-Woche ein echtes Argument auf ihrer Seite, um Fachkräfte zu locken. Gerade im aktuell tobenden war of talents sollten Arbeitgeber das nicht unterschätzen.
Die Nachteile der 30-Stunden-Woche
Natürlich hat die 30-Stunden-Woche nicht nur positive Seiten, sondern sowohl für Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer einige Nachteile, die man kennen sollte:
Erhöhter Leistungsdruck: Es besteht die Gefahr, dass bei schlechter Arbeitsorganisation die 30-Stunden-Woche schnell in Stress ausartet. Wenn es nicht gelingt, die Arbeitsaufgaben so umzustrukturieren, dass sie in weniger Zeit machbar sind, müssen die Beschäftigten in weniger Zeit die gleiche Leistung bringen – das geht selten lange gut.
Individuelle Voraussetzungen, Arbeitsaufgaben: Die 30-Stunden-Woche ist nicht für alle Branchen gleichermaßen geeignet. Das zeigte sich an dem Beispiel eines Pflegeheims, in dem man die 30-Stunden-Woche versuchsweise eingeführt hat. Es war nicht möglich, die Bewohner in weniger Zeit gleich gut zu betreuen, so dass mehr Pflegepersonal eingestellt werden musste, um die gleiche Qualität in der Pflege während der 30-Stunden-Woche sicherzustellen. Mit dem Ergebnis, dass die Gemeinde deutlich mehr Geld ausgeben und schließlich das Projekt 30-Stunden-Woche einstellen musste.
Schlechteres Betriebsklima: Wenn der kurze Plausch mit den Kollegen entfällt und man am Arbeitsplatz isoliert und voll konzentriert lediglich seine Aufgaben bearbeitet, kann sich das ungünstig auf das Betriebsklima auswirken. Arbeitgeber sollten versuchen, den Zusammenhalt im Team durch Veranstaltungen nach der Arbeitszeit zu fördern – zum Beispiel, indem sie Gutscheine für einen Restaurant- oder Barbesuch nach Feierabend verteilen.
Die 30-Stunden-Woche ist durchaus eine interessante Idee, die in einigen Ländern und Unternehmen bereits Erfolge gezeigt hat. Wir sind gespannt, wie sich die Diskussion um die 30-Stunden-Woche in Deutschland weiter entwickeln wird.