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Vermögen: „Deutschland könnte mehr Ungleichheit vertragen“

Lesezeit: 6 min
24.03.2023 15:32  Aktualisiert: 24.03.2023 15:32
Medien, Gewerkschaften und Politiker prangern die hohe Vermögenskonzentration in Deutschland an. Doch ist Ungleichheit tatsächlich schlecht?
Vermögen: „Deutschland könnte mehr Ungleichheit vertragen“
Die obersten 10 Prozent der Deutschen besitzen sehr viel mehr als die untersten 50 Prozent. (Foto: iStock.com/hyejin kang)
Foto: hyejin kang

Vermögen ist sehr ungleich in Deutschland verteilt. Laut der Bundesbank besitzen die obersten 10 Prozent der Nettovermögenden über die Hälfte des gesamten Nettovermögens. Die obersten 1 Prozent besitzen sogar über 20 Prozent. Die untere Hälfte kommt hingegen nur auf 0,6 Prozent. Das sei ein „äußerst geringer Anteil“, bemerken die Notenbanker im Monatsbericht vom Juli 2022.

Dennoch hat sich die Vermögensungleichheit seit 2009 „leicht reduziert“, berichtet die Bundesbank weiter. Etwa versechsfachte sich der Vermögensanteil der unteren 50 Prozent der Haushalte. Im Jahr 2009 besaßen sie noch 0,2 Prozent des gesamten Nettovermögens, im Jahr 2021 waren es 1,2 Prozent (im Mittel 0,6 Prozent).

Der Ökonom Marius Kleinheyer widerspricht der weit verbreiteten Auffassung, dass Ungleichheit automatisch etwas Negatives sei. „Deutschland könnte mehr Ungleichheit vertragen, vorausgesetzt, sie entsteht aus den richtigen Gründen“, schreibt der Forscher des liberalen Flossbach von Storch Research Institute in einer aktuellen Analyse.

Ungleichheit sorgt für Leistungsanreize

Die Möglichkeit, ein sehr hohes Einkommen zu erzielen und sich ein Vermögen aufzubauen, setze nämlich „Anreize für Innovation und Wettbewerb“. Das kommt den Verbrauchern durch günstigere und qualitätsvollere Produkte zugute.

Außerdem haben Einkommen und somit Vermögen, die nichts anderes als angesparte Einkommen sind, eine Lenkungsfunktion. Sie zeigen an, welche Produkte besonders gefragt sind und lenken somit Arbeitskräfte und Ressourcen in die betreffenden Branchen. Es sei „elementar wichtig“, dass Wirtschaftsakteure die Ergebnisse von Wirtschaftsprozessen über Ungleichheiten in Einkommen und Vermögen angezeigt bekämen, schreibt daher Kleinheyer.

Laut dem Kölner Ökonomen gibt es denn auch „keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen zunehmender Ungleichheit und abnehmendem Wirtschaftswachstum“. Untersuchungen kämen vielmehr zu gemischten Ergebnissen. Viele Studien stützten sich auf den Gini-Koeffizienten als Ungleichheitsmaß. Dieser hat den Wert 1, falls das gesamte Vermögen im Besitz einer einzigen Person ist, und den Wert null, wenn alle exakt gleich viel besitzen.

Als Faustregel gelte, dass ein Wert von 0,2 bis 0,3 relativ wenig Ungleichheit bedeute und 0,4 bis 0,5 hohe Ungleichheit, erklärt Kleinheyer. Die Forschung betrachte dabei einen Wert von 0,35 oder höher als wachstumsschädlich. Deutschland liege aber mit 0,31 unter dem Schwellenwert und etwa im europäischen Durchschnitt. Das würde darauf hindeuten, „dass in Deutschland und Europa tendenziell zusätzliche Ungleichheit eher wachstumsfördernd wirken könnte“, schreibt Kleinheyer.

Wohin extreme Gleichheit führt, zeigen durch Sozialismus geteilte Länder eindrücklich auf. Etwa lag die DDR weit hinter der BRD zurück. Die Wirtschaftsleistung pro Kopf lag kurz vor der Wende bei 14.000 D-Mark. Das war etwas mehr als ein Drittel des Wohlstandes der BRD. Viel weniger Haushalte besaßen laut Statista-Zahlen ein Auto (97 zu 52 Prozent), ein Telefon (98 zu 9 Prozent) oder einen Farbfernseher (94 zu 52 Prozent).

Freie Länder sind gleicher

Dennoch führt wirtschaftliche Freiheit nicht zwangsläufig zu größerer Ungleichheit. Global gesehen gibt es in den Ländern weniger Ungleichheit, die wirtschaftlich und politisch freier sind. Politische und ökonomische Freiheit seien über 147 Staaten hinweg leicht negativ mit ökonomischer Ungleichheit korreliert, erklärt der Psychologe Heiner Rindermann schriftlich auf ANG-Anfrage. „Das heißt, in freieren Ländern gibt es eher mehr wirtschaftliche Gleichheit.“

Der Zusammenhang gelte zwar für den Vergleich USA-Skandinavien nicht, führt Rindermann aus. Die USA sind also freier und weisen trotzdem eine größere Vermögensungleichheit auf als die skandinavischen Länder. „Aber hier ist eventuell nicht die politische Rahmensetzung, sondern die ethnische Diversität entscheidend“, meint Rindermann.

Einwanderung kann nämlich die Armut in einem Land verschärfen. Etwa berichtet der Ökonom Daniel Stelter in seinem Buch „Das Märchen vom reichen Land“ aus dem Jahr 2018, dass die Armutsquote in Deutschland in den Vorjahren gestiegen sei – also der Anteil der Bevölkerung, der weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens verdient.

Stelter sieht in der Masseneinwanderung eine wesentliche Ursache dafür. Bei Menschen mit Migrationshintergrund sei die Armutsquote nämlich doppelt so hoch wie bei Menschen ohne Migrationshintergrund (22,2 Prozent versus 11,3 Prozent). „Angesichts der demografischen Entwicklung ist mit einer deutlichen Zunahme der Armut in Deutschland zu rechnen“, befürchtet Stelter.

Heiner Rindermann hat sich intensiv mit den sogenannten „smart fractions“ beschäftigt. Darunter versteht man die kognitive Elite eines Landes, also meist die oberen 5 Prozent der IQ-Verteilung. Das Fähigkeitsniveau dieser Eliten sei „besonders wichtig für die Entwicklung von Gesellschaften“, erklärt Rindermann.

Studien finden einen starken Zusammenhang dazwischen, wie viele IQ-Punkte Mitglieder der kognitiven Eliten mindestens haben und wie wohlhabend, rechtsstaatlich oder demokratisch ein Land ist. Rindermann kommt in einer Studie sogar zum Schluss, „dass in freieren Gesellschaften (ökonomische Freiheit) Intelligenz stärker wirksam ist“, wie er auf ANG-Anfrage schreibt.

Die Forschungen von Rindermann und anderen legen also nahe, dass kognitive Eliten – die auch häufig überdurchschnittlich verdienen und große Vermögen aufbauen – einen besonders positiven Einfluss auf eine Gesellschaft haben. Dieser Einfluss ist umso größer, je freier eine Gesellschaft ist.

„Arme sind wegen der Reichen besser dran“

Ähnlich schrieb bereits der liberale Ökonom Ludwig von Mises im Jahr 1927, die Reichen seien für den Rest der Gesellschaft vorteilhaft, denn sie förderten durch ihre Nachfrage den wirtschaftlichen Fortschritt. Auch der US-Politikberater Indur Goklany bemerkt in seinem Buch „The Improving State of the World“: „Die Reichen sind nicht besser dran, weil sie den Armen etwas weggenommen haben, sondern die Armen sind besser dran, weil sie von den von den Reichen entwickelten Technologien profitieren“.

Die Reichtumsforschung stellt die Ansicht ebenfalls infrage, Vermögensungleichheit sei etwas Schlechtes oder Ungerechtes. Demnach werden Reiche vor allem aufgrund guter Ideen, Fleiß und bestimmter Persönlichkeitseigenschaften reich – und nicht so sehr aufgrund von Glück oder reicher Eltern. Reiche seien risikobereiter, weniger neurotisch (besorgt und nervös), offener, gewissenhafter (organisiert und beständig) und extravertierter (aktiv und gesellig) als die Durchschnittsbevölkerung.

Zudem sparen Reiche mehr und arbeiten länger als die Normalbevölkerung. Laut dem DIW kommen sie auf 47 Wochenstunden anstelle der 37 Stunden eines Durchschnittsverdieners.

Höheres Einkommen geht zudem laut Forschungen mit einem höheren IQ einher. Reiche sind also tendenziell intelligenter. Dadurch sind sie eher in der Lage zu verstehen, wie man Vermögen an den Kapitalmärkten gewinnbringend anlegt, und besitzen aufgrund ihrer erhöhten Gewissenhaftigkeit auch eher die Disziplin, um einen Sparplan über längere Zeiträume durchzuhalten.

Laut den Zahlen der Bundesbank besitzt die untere Hälfte der Vermögensverteilung größtenteils risikoarme Anlagen, etwa Bankeinlagen. Das Vermögen der oberen 50 Prozent besteht hingegen zu einem deutlich größeren Teil aus Wertpapieren, Betriebsvermögen und Immobilien.

Das schlage sich in den Renditen nieder. Weil die Preise von Aktien und Immobilien zwischen 2009 und 2022 deutlich gestiegen seien, war die Vermögensrendite bei den oberen 50 Prozent „deutlich höher“ als bei der unteren Hälfte, erklärt die Bundesbank. Dabei dürfte es in Zeiten von kostenlosen Neobrokern wie Scalable Capital oder Trade Republic für niemanden ein Problem sein, Geld in die Aktienmärkte zu investieren – und sei es bloß eine Sparrate von 3 Euro pro Monat.

Gleichwohl profitieren Reiche auch von strukturellen Ungleichbehandlungen im gegenwärtigen ungedeckten Papiergeldsystem. Etwa kommen sie leichter an Kredite der Banken heran, weil sie mehr Sicherheiten vorweisen können, und kaufen mit diesen Vermögensgüter, die im Preis aufgrund der laxen Geldpolitik der Zentralbanken besonders kräftig steigen. Zudem besteuert der deutsche Staat Löhne wesentlich höher als Kapitalerträge.

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Elias Huber arbeitet als freier Journalist in Frankfurt am Main und schreibt vor allem über Konjunktur, Edelmetalle und ETFs sowie die ökonomische Lehre der Österreichischen Schule. 

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