Analyse von Ernst Glanzmann und Reiko Mito, Investment Manager für japanische Aktien bei GAM Investments:
Für vergangenes Jahr geplant, jedoch aufgrund der Covid-19-Pandemie verschoben, werden die Olympischen Sommerspiele in Tokio am 23. Juli 2021 eröffnet, gefolgt von den Paralympics vom 25. August bis 5. September. Von den Vorkehrungen im Zusammenhang mit den Olympischen und Paralympischen Spielen 2020 hatte sich die japanische Regierung einen langfristigen sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Nutzen versprochen. Die Behörden hatten die Spiele vor dem Ausbruch der Pandemie als „Recovery Games“ bezeichnet, denn Japan wollte nach dem Erdbeben, dem Tsunami und der Nuklearkatastrophe des Jahres 2011 seine Widerstandsfähigkeit und seinen Wiederaufbau unter Beweis stellen. Mittlerweile hat der Begriff eine Doppelbedeutung angenommen. Angesichts der anhaltenden globalen Covid-19-Krise schätzen die Ökonomen des Daiwa Institute of Research, dass die inländischen Konsumausgaben aufgrund des Ausbleibens der ausländischen Besucher von den Wettkämpfen um 60-70 Milliarden Yen geringer ausfallen werden als es unter „normalen Umständen“ der Fall gewesen wäre.
Wird zudem die Besucherzahl der einheimischen Bevölkerung auf 50% der möglichen Kapazitäten begrenzt, könnte der Einbruch sogar bis zu 130 Milliarden Yen betragen. Allerdings dürfte die wirtschaftliche Auswirkung des Ausschlusses ausländischer Zuschauer einen vertretbaren Kompromiss darstellen, vorausgesetzt, die Veranstaltung findet überhaupt statt. Von weitaus größerer Bedeutung ist jedoch, dass die Spiele unter Einhaltung höchstmöglicher Sicherheit abgehalten werden, sowohl unter wirtschaftlichen als auch gesundheitlichen Gesichtspunkten.
Japan strebt Wandel zur grünen Wirtschaft an
Parallel zur Olympiade finden verschiedene Veranstaltungen statt – wenn auch in bedeutend kleinerem Rahmen – um neue, fortschrittliche Technologien vorzustellen, beispielsweise solche, die sich mit dem autonomen Fahren beschäftigen. Viele Initiativen rund um die Spiele werden darüber hinaus den positiven Wandel symbolisieren, den Japan mit der Schaffung einer grünen Wirtschaft anstrebt. Dazu zählen die Herstellung von Medaillen aus Rohstoffen, die in „städtischen Minen“ gefördert wurden, wie beispielsweise aus dem Recycling von Mobiltelefonen, die Herstellung von Podien aus recyceltem Kunststoff, und die Nutzung sowie Wiederverwertung von Bauholz im olympischen/paralympischen Dorf, das von lokalen Regierungen in ganz Japan zur Verfügung gestellt wird. Fackeln wurden aus Aluminium hergestellt, das zuvor in provisorischen Unterkünften für die Überlebenden des Erdbebens und Tsunamis von 2011 verwendet wurde, während über 500 Brennstoffzellen-Elektrofahrzeuge als Transportmittel für Teilnehmer und sonstige Beteiligte eingesetzt werden. Derartige Projekte zielen darauf ab, einem globalen Publikum den Zusammenhang zwischen den Spielen und Nachhaltigkeit zu veranschaulichen.
„Recovery Games“ stützen zunehmende Wirtschaftsdynamik
Zusätzlich zu den Spielen gibt es mehrere Gründe, weshalb Japan im Jahr 2021 gute Voraussetzungen für einen soliden und möglicherweise stärkeren Aufschwung als andere Industrienationen aufweist. Japans Covid-19-Fälle verlaufen relativ mild im Vergleich zu den Erkrankungen in anderen entwickelten Märkten. Im verarbeitenden Gewerbe haben sich die Maschinenbestellungen – eine Art Pulsmesser für die japanische Wirtschaft – in den letzten Monaten deutlich beschleunigt, ähnlich wie die weltweiten Bestellungen von numerischen Steuerungen für Werkzeugmaschinen und Industrieroboter.
Der Ausbruch der Covid-19-Pandemie verursachte eine Vielzahl struktureller Veränderungen unseres täglichen Lebens, beispielsweise den Trend zu Online-Shopping, Streaming-Entertainment und die Heimarbeit. Der Übergang zu Online- und Cloud-Computing dürfte sich in zahlreichen weiteren Bereichen fortsetzen. Mittlerweile profitieren viele Unternehmen von einer Beschleunigung der stattfindenden Veränderungen, darunter Anbieter medizinischer Online-Dienste, Softwareanbieter und Zulieferer von Komponenten für Rechenzentren und die Fabrikautomation. Wir sind unverändert davon überzeugt, dass die Bewertung der Unternehmensführung bei der Aktienauswahl von entscheidender Bedeutung ist. Lediglich hoch qualitative Managementteams dürften auch in Zukunft mit ausreichender Agilität auf die beschleunigte Digitalisierung reagieren können.
„Online-Merge-Offline“-Geschäftsmodelle auf dem Vormarsch
Zusätzlich zu diesen strukturellen Veränderungen beobachten wir die zunehmende Bedeutung der engen Verknüpfung des digitalen mit dem konventionellen Geschäftsmodell („online-merge-offline“). Unternehmen, welche in der Lage waren, ein entsprechendes Modell frühzeitig umzusetzen, scheinen diesen wirtschaftlichen Abschwung besser zu überstehen und gestärkt daraus hervorzugehen. Dies gilt nicht nur für den Konsumgüterbereich, wie z.B. Einzelhändler von Bekleidung und Haushaltswaren, sondern auch für den „Business-to-Business“-Bereich, wie beispielsweise den Verkauf von Unternehmens-Hardware und -Software oder die Bereitstellung von Fernwartungsdienstleistungen. Nach der von der japanischen Regierung angekündigten Verpflichtung, in Umweltprojekte zu investieren, zeichnen sich neue Geschäftsmöglichkeiten ab. Die Titelauswahl bleibt dennoch von entscheidender Bedeutung, zumal sich die Rentabilität projektbedingt unterscheidet.
Japanische Unternehmen: Deutliche Gewinnerholung kommt Aktienmarkt zugute
Die jüngst veröffentlichten Ergebnisse japanischer Unternehmen des vierten Quartals 2020 waren bemerkenswert, da sie im Durchschnitt eine Verbesserung gegenüber dem Vorquartal verzeichneten. Ab 2021 sollte sich ein kontinuierliches Gewinnwachstum im Jahresvergleich abzeichnen. Der japanische Aktienmarkt sollte auf die sich verbessernde Entwicklung positiv reagieren. Wir erwarten für das laufende Jahr eine deutliche Gewinnerholung und rechnen mit neuen historischen Höchstständen bei den Gewinnen im Geschäftsjahr 2022/23 gegenüber dem bisherigen Höchststand im Jahr 2018.
Kurzum: Wir sind der Ansicht, dass der japanische Aktienmarkt im Jahr 2021 eine positive Performance aufweisen wird. Der Marktaufschwung steht erst am Anfang. Trotz der Unterbrechungen hoffen wir, dass die „Erholung“ der Olympischen Spiele und der Paralympics in Tokio ein Vermächtnis für zukünftige Spiele hinterlassen wird. Es werden die ersten geschlechterparitätischen Spiele in der Geschichte sein – ein Meilenstein für die Gleichstellung der Geschlechter auf und neben dem Spielfeld, womit der Weg für eine gleichberechtigte und integrative Gesellschaft geebnet wird.
GAM ist eine unabhängige, reine Vermögensverwaltungsgruppe. Per 30. Juni 2020 hat GAM 747 Vollzeitbeschäftigte in 14 Ländern und betreibt Anlagezentren in London, Cambridge, Zürich, Hongkong, New York, Mailand und Lugano.
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