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Crack-up-Boom: Droht dem Euro ein Absturz wie der türkischen Lira?

Lesezeit: 5 min
03.06.2022 16:43  Aktualisiert: 03.06.2022 16:43
In der Türkei zeigen sich Tendenzen eines Crack-up-Booms, also einer Flucht in Sachwerte aufgrund hoher Inflation. Könnte es dem Euro genauso ergehen?
Crack-up-Boom: Droht dem Euro ein Absturz wie der türkischen Lira?
Der Crack-up-Boom – oder zu Deutsch Katastrophenhausse – speist sich bloß aus der Angst der Anleger vor einem Wertverfall der Währung. (Foto: iStock.com/grinvalds)
Foto: grinvalds

Seit Beginn der Corona-Krise ist die Lira regelrecht abgestürzt. Die türkische Währung verlor in diesem Jahr etwa 20 Prozent zum US-Dollar, im vergangenen Jahr sogar 44 Prozent. Die Verbraucherpreise stiegen im April um 70 Prozent zum Vorjahresmonat.

Viele Türken flüchten aus der Lira und investieren in Sachwerte. Etwa beantragten die Türken im Jahr 2021 knapp 800.000 Baugenehmigungen, berichtet die türkische Zeitung Daily Sabah. Im Jahr 2019 waren es noch rund 300.000 Anträge gewesen. Die Nachfrage nach Goldmünzen und -barren stieg im Jahr 2020 auf ein Rekordhoch, aber flaute zuletzt aufgrund des deutlich gestiegenen Goldpreises und der hohen Inflation ab, berichtet das World Gold Council.

„Normalerweise verkaufen die Leute ihr Gold, wenn der Goldpreis so stark steigt, und kaufen ein Haus oder ein Auto. Aber in dieser Situation gibt es eine ständig steigende Nachfrage nach Gold“, berichtet ein türkischer Goldhändler im Dezember 2021 dem Wall Street Journal. Auch der türkische Aktienindex ISE 100 legte innerhalb von einem Jahr um 80 Prozent zu und notierte Anfang Juni auf einem neuen Allzeithoch. Könnte eine so hohe Inflation und eine Flucht in die Sachwerte, die der Ökonom Ludwig von Mises als Crack-up-Boom bezeichnete, auch im Euroraum drohen?

Was ist ein Crack-up-Boom?

Ein Crack-up-Boom, oder zu Deutsch Katastrophenhausse, bezeichnet eine Flucht in Sachwerte, weil die Inflation sehr hoch ist. Der österreichische Ökonom Ludwig von Mises prägte den Begriff in den Zwanzigerjahren und hatte dabei vor allem die deutsche Hyperinflation des Jahres 1923 vor Augen. Auf den Aktienmärkten steigen die Kurse rascher als die Inflationsrate, obwohl die wirtschaftlichen Aussichten schlecht sind. Der Boom speist sich bloß aus der Angst der Anleger vor einem Wertverfall der Währung.

Laut der Wirtschaftstheorie von Mises tritt eine Katastrophenhausse erst ganz am Ende des Geldschöpfungszyklus auf und führt zu einem totalen Zusammenbruch der Währung. „Wenn einmal die öffentliche Meinung davon überzeugt ist, dass die Zunahme der Geldmenge weitergehen und nie aufhören wird, und dass folglich die Preise aller Waren und Dienstleistungen nicht aufhören zu steigen, wird jeder bestrebt, so viel wie möglich zu kaufen und seinen Bargeldbestand auf ein Mindestmaß zu beschränken“, erklärte der in Wien geborene Volkswirt.

Jesús Huerta de Soto ist ein Anhänger der Wirtschaftstheorie von Mises. Der VWL-Professor aus Madrid erklärt in seinem Werk „Geld, Bankkredit und Konjunkturzyklen“, dass die Ursache von Rezessionen eine übermäßige Geldschöpfung der Zentralbanken sei. Diese sorge zwar für einen anfänglichen Wirtschaftsaufschwung, aber verzerre die gesamte Produktionsstruktur einer Volkswirtschaft. Zum einen gebe es zu viel Konsum, weil die Zentralbanken die Zinsen künstlich senkten, was Sparen unattraktiver mache. Zum andern verursache das neu geschaffene Geld Fehlinvestitionen in den Produktionsgüterindustrien, die bei einem höheren Zins nicht getätigt worden wären.

Diese übermäßige Geldschöpfung münde normalerweise in eine Rezession, erklärt Huerta de Soto. Die Zentralbank könne aber die Rezession hinauszögern, indem sie die Geldmenge immer rascher ausweite. Aber auch diese Strategie sei letztendlich zum Scheitern verurteilt und ende in einem von drei Szenarien, erklärt der Professor.

Erstens könne die Zentralbank die Geldschöpfung stoppen oder verlangsamen, weil die Zentralbanker Sorge bekämen, dass die Inflation außer Kontrolle gerate. Das führe zu einer Rezession. Zweitens könne die Zentralbank die Geldmenge nicht rasch genug ausweiten, um eine

Wirtschaftskrise weiter hinauszuzögern. Das führe zu einer Rezession, während die fortgesetzte Geldschöpfung die Konsumentenpreise ansteigen lasse – Ergebnis sei eine Stagflation.

Zuletzt könne die Zentralbank die Geldschöpfung immer weiter beschleunigen, sodass sich die wirtschaftliche Aktivität nicht verlangsame. Das führe schlussendlich zu einer Katastrophenhausse und Hyperinflation. „In dem Moment, in dem die Wirtschaftsakteure erkennen, dass die Inflationsrate mit Sicherheit weiter steigen wird, wird eine weit verbreitete Flucht in Richtung realer Werte einhergehen, zusammen mit einem astronomischen Anstieg der Preise für Waren und Dienstleistungen und schließlich dem Zusammenbruch des Geldsystems“, schreibt der VWL-Professor.

Droht eine Katastrophenhausse?

Der VWL-Professor Steve Hanke gibt indes Entwarnung. Derzeit bestehe keine Gefahr einer Hyperinflation oder einer Katastrophenhausse. „Crack-up-Booms der von Ludwig von Mises beschriebenen Art treten während Hyperinflationen auf – wenn die Inflationsrate 50 Prozent pro Monat übersteigt“, erklärt er auf Anfrage. In den kommenden Jahren rechnet Hanke aber nicht mit einer so hohen Teuerungsrate.

Er schätzt die Inflationsrate im Euroraum im Schnitt auf 4 bis 6 Prozent in den kommenden zwei bis drei Jahren. Diese Einschätzung treffe er auf Basis der Quantitätstheorie des Geldes, die das Preisniveau mit dem Wirtschaftswachstum, dem Wachstum der Geldmenge und der Veränderung der Geldnachfrage in Zusammenhang bringt, erklärt er.

Gleichwohl lasse sich nicht an einer bestimmten Inflationsrate festmachen, wann die Menschen in Sachwerte flüchteten. „Im Allgemeinen folgt der Wechsel zu harten Vermögenswerten einem Gradienten – je höher die Inflationsrate, desto größer ist der Wunsch, von liquiden Vermögenswerten zu harten Vermögenswerten wie Immobilien und Rohstoffen zu wechseln“, erklärt Hanke, der bereits Regierungen auf der ganzen Welt bei Währungsreformen beraten hat.

Auch ein Vergleich der Geldschöpfungsraten der EZB und der türkischen Zentralbank zeigt, dass galoppierende Inflation wie in der Türkei derzeit im Euroraum nicht droht. Die EZB hat seit Beginn 2020 bis Ende Mai die Bilanzsumme um 89 Prozent ausgeweitet. Die türkische Zentralbank war deutlich expansiver unterwegs: Das Plus betrug knapp 130 Prozent.

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Elias Huber arbeitet als freier Journalist in Frankfurt am Main und schreibt vor allem über Konjunktur, Edelmetalle und ETFs sowie die ökonomische Lehre der Österreichischen Schule. 

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