Kurzfristig abgesagte Grundsteinlegungen für Bauprojekte, geplante Mietwohnungen, die sich plötzlich nicht mehr rechnen oder Hausbauer, die wegen rapider Kostensteigerungen aufgeben müssen: Die neuen Zeiten am Immobilienmarkt machen sich in der deutschen Baubranche bemerkbar. Höhere Zinsen für Kredite, gestoppte Fördergelder des Bundes und teures Material belasten Bauherren schwer. Zwar sehen Experten etwas Besserung, doch das dürfte dauern.
Egal ob Stahl, Beton oder Dämmmaterialien: Die Preise am Bau sind in den vergangenen Monaten hoch geschnellt - auch wegen des Ukraine-Krieges, der Lieferketten durcheinanderwirbelt. Auch die teure Energie spielt eine Rolle: Dachziegeln etwa werden bei großer Hitze gebrannt. Bauleistungen verteuerten sich laut jüngsten Zahlen von Mai laut Statistischem Bundesamt um 17,6 Prozent, das war der höchste Anstieg seit mehr als 50 Jahren.
Aufträge sinken aufgrund der Kosten
Bei Bauherren, sei es professionelle Projektentwickler oder private Hausbauer, kann daher die Kalkulation zwischen Grundstückskauf und Baubeginn schnell überholt sein - trotz Puffer. "Große Investoren haben tiefe Taschen und können Kostensteigerungen eher abfangen", sagte Pekka Sagner, Immobilienexperte am Institut der deutschen Wirtschaft (IW). "Bei privaten Bauherren sieht es anders aus".
Das Münchner Ifo-Institut beobachtet schon seit Frühjahr eine Stornierungswelle. "Noch sind die Auftragsbücher prall gefüllt. Aber die explodierenden Baukosten, höheren Zinsen und schlechteren Fördermöglichkeiten stellen mehr und mehr Projekte in Frage", so die Forscher. Mehr als jedes zehnte Unternehmen im Wohnungsbau (11,5 Prozent) sei im Juli von Stornierungen betroffen gewesen.
"Die Größenordnung ist vergleichbar mit dem Corona-Schock im Frühjahr 2020", sagte Ifo-Forscher Felix Leiss. "War damals am häufigsten der gewerbliche Bau betroffen, sehen wir heute besonders im Wohnungsbau Stornierungen". Das treffe Einfamilien- und Mehrfamilienhäuser.
Private Bauherren müssten neben hohen Baukosten und steigenden Zinsen noch die steigenden Energie- und Lebenshaltungskosten stemmen, erklärte der Hauptgeschäftsführer des Bauindustrieverbandes, Tim-Oliver Müller. "Da entscheiden sich derzeit doch einige gegen den Hausbau." Aber auch bei Großinvestoren würden etliche Wohnungsbauprojekte auf den Prüfstand gestellt.
Beim Zentralverband des Deutschen Baugewerbes (ZDB) hält man die Ifo-Schätzungen für realistisch. "Wenn Bauprojekte noch nicht begonnen sind, dann werden sie derzeit verschoben", sagte eine Sprecherin. "Bei begonnenen Vorhaben heißt es oft Augen zu und durch." Von einem Bauprojekt zurückzutreten, sei nicht immer reibungslos möglich und könne je nach Vertrag etwa Ausfallpauschalen nach sich ziehen. "Aber Sie können ja niemanden zwingen zu bauen."
Bei den hohen Materialpreisen sieht der ZDB vorerst keine Entspannung - denn ausgefallene Stahl-Lieferungen aus der Ukraine kommen nun oft aus Brasilien oder Asien, was höhere Preise bedeutet. Und auch die Lockdown-Politik in China verschärfe Lieferengpässe. Der Verband warnt daher vor einer Baukrise im kommenden Jahr. Auch IW-Experte Sagner erwartet eine "Vollbremsung". Jüngste Zahlen deuten darauf hin: Die Zahl der Baugenehmigungen für Einfamilienhäuser brach im ersten Halbjahr um 17 Prozent ein. Und auch im Wohnungsbau fallen die Auftragseingänge deutlich, beobachtet das Statistische Bundesamt.
Der Materialmangel am Bau bleibt laut Ifo vorerst groß. So meldeten in der Umfrage im Juli fast die Hälfte der Firmen im Wohnungsbau Lieferprobleme. Zwar lasse der Schwung etwas nach, doch die Kosten fielen nur langsam und von einem "massiv hohen Niveau". Viele Befragte erwarteten weiter Preiserhöhungen in den kommenden Monaten.
Angespannte Lage auch im gewerblichen Bereich
Bei Investoren sei die Stimmung angespannt, berichtet auch Susanne Gentz, Expertin für Wohnimmobilien beim Großmakler Jones Lang LaSalle (JLL). "Projektentwickler warten ab und Käufer befürchten, in einem fallenden Markt zu teuer zu kaufen." Derzeit seien Kalkulationen für Projektentwickler "wahnsinnig schwer". Der notwendige hohe Preis im Neubaubereich werde häufig auf Käuferseite nicht mehr akzeptiert.
Gentz sieht aber zumindest etwas Beruhigung am Markt. So sei der Anstieg der Materialpreise und Zinsen etwas abgeflacht. Auch wenn sich der Markt nach der Sommerpause wieder beleben dürfte: Gentz glaubt, dass sich der Gegenwind am Häusermarkt auswirken wird. "Wir werden deutlich sinkende Fertigstellungszahlen sehen." Zugleich werde der Immobilienkauf wegen der gestiegenen Bauzinsen für viele Menschen zu teuer, während die Zuwanderung nach Deutschland wieder anziehe. "Der Druck auf dem Wohnungsmarkt bleibt hoch."