Vorsorge

Ökonomen schlagen Kostenbremse für Gas vor

Lesezeit: 5 min
13.10.2022 09:04
Wie können die ausufernden Gaspreise gebremst werden? Verschiedene Ökonomen haben dazu nun Stellung genommen.
Ökonomen schlagen Kostenbremse für Gas vor
Wie können die Gaspreise gedeckelt werden? (Foto: Pixabay)

Die von der Bundesregierung eingesetzte Expertenkommission hat sich Insidern zufolge auf Vorschläge für eine Dämpfung des Anstiegs der Gaspreise verständigt. In einer ersten Stufe ist demnach für Dezember eine Erstattung in Höhe einer Monatsabschlagzahlung vorgesehen. In einer zweiten Phase soll ab März oder April eine Gaspreisbremse greifen, bei der jeder Kunde ein staatlich gefördertes Kontingent von 60 bis 80 Prozent des prognostizierten Verbrauchs von September 2022 erhält. Experten sagten in ersten Reaktionen:

Jörg Krämer, Commerzbank-Chefsvolkswirt

„Die Übernahme einer Abschlagsrechnung durch den Staat lässt sich schnell umsetzen, kommt aber auch vielen Menschen zugute, die über ausreichend Einkommen verfügen. Es ist gut, dass die Gaspreisbremse nur für einen Teil des Verbrauchs gelten soll. Damit bleiben die Anreize zum Gassparen bestehen, wenn die Bürger auf die Kosten des zusätzlichen Gasverbrauchs schauen. Allerdings besteht das Risiko, dass viele Bürger auf die durchschnittlichen Kosten schauen und wegen der Gaspreisbremse weniger sparen. Ansonsten können staatliche Hilfen die Bürger nur kurzfristig entlasten. Sie können nämlich nichts daran ändern, dass Deutschland als Nettoimporteur von Energie durch die gestiegenen Energiepreise ärmer geworden ist. In dieser Situation kann ein Staat nur einzelne bedürftige Gruppen entlasten, aber am Ende nicht die Gesamtheit der Bürger. Greift er trotzdem zu breitangelegten Hilfen, facht er die gesamtwirtschaftliche Nachfrage und damit am Ende die Inflation an, unter der alle leiden.‘‘

Jens Südekum, Institut für Wettbewerbsökonomie Düsseldorf

„Kurzfristig will der Staat die Abschlagszahlung für den Dezember übernehmen. Die Umsetzung wirft aber viele Fragen auf. Über welchen Kanal will der Staat diese Erstattung der Energiekosten gewährleisten? Geplant ist offenbar, dass die Energieversorger ihre Abschlagsrechnungen für einen Monat nicht an die Kunden, sondern stattdessen direkt an den Bund richten. Das hört sich zwar einfach an, aber dürfte in der Praxis zu einem riesigen bürokratischen Aufwand führen, denn es geht ja um Millionen von Fällen. Das kann die Auszahlung verzögern.

Selbst wenn die Umsetzung gelingt, die volle Erstattung der Nebenkosten bietet gerade keine Einsparanreize und fördert reiche Haushalte mit hohen Energieverbräuchen besonders stark. Beides geht in die falsche Richtung. Insgesamt rächt sich jetzt das späte Handeln der Politik. Hätte die Kommission früher mit der Arbeit beginnen dürfen, wäre der sinnvolle Preisdeckel vielleicht schon vor Weihnachten einsatzbereit gewesen. So müssen Haushalte und Unternehmen länger warten und werden bis dahin mit einer zweifelhaften Sonderzahlung beruhigt.‘‘

Sebastian Dullien, Direktor IMK-Institut

„Es ist erfreulich, dass die Gaspreiskommission schnell ein praktikables Ergebnis vorgelegt hat. Es wäre für die deutsche Konjunktur und die Inflationsaussichten sehr gut, wenn jetzt eine Gaspreisbremse wie von der Kommission vorgeschlagen für die Privathaushalte schnell umgesetzt wird. Die Entlastung der Privathaushalte durch beide Stufen dürfte bis Frühjahr 2024 bei 35 Milliarden Euro liegen, was direkt die Kaufkraft stützen und den befürchteten Konsumrückgang über den Winter abfedern dürfte. Da viele Haushalte ohne diese Unterstützung ihren Konsum zurückgefahren hätten, könnte dies das Wirtschaftswachstum um knapp einen Prozentpunkt stützen. Gleichzeitig dürfte die Inflation 2023 bei Umsetzung der Gaspreisbremse um mehrere Prozentpunkte geringer ausfallen als das sonst der Fall gewesen wäre.

Es gibt bei dem Modell allerdings auch Schwächen: Der vorgeschlagene pauschale 80-Prozent-Rabatt entlastet Haushalte mit hohem Gasverbrauch deutlich stärker als jene mit geringem Gasverbrauch. Das ist besonders problematisch bei den Hocheinkommenshaushalten mit hohem Gasverbrauch, etwa den Bewohnern von Villen aus den 1970er Jahren mit Schwimmbad. Im Durchschnitt dürften Haushalte aus den oberen Einkommensdezilen hier etwa anderthalb mal so große Rabatte bekommen wie Haushalte in den unteren Einkommensdezilen. Bei den Spitzenverbrauchern dürfte dieses Verhältnis noch einmal ein Mehrfaches höher ausfallen. Hier wäre es wünschenswert, wenn Regierung und Bundestag im Gesetzgebungsverfahren noch einmal nachsteuern und etwa eine Höchstzahl der maximal geförderten Kilowattstunden festlegen.

Insgesamt ist das Kommissionsergebnis eine gute Vorlage, auf deren Basis jetzt gearbeitet werden kann. Natürlich wäre es schöner gewesen, die Gaspreisbremse zielgenauer und sauberer umzusetzen und sich die Übergangszeit mit der staatlich finanzierten Abschlagszahlung im Dezember zu sparen. Hier rächt sich nun, dass die Politik das Thema Gaspreisanstieg zu lange verschleppt hat und erst im September die Kommission eingesetzt hat, obwohl die Probleme seit dem Frühjahr absehbar waren.‘‘

Marcel Fratzscher, Präsident DIW-Institut

„Die Expertenkommission versucht, das Beste aus einer schwierigen Situation zu machen und die Versäumnisse der Bundesregierung zu überbrücken. Direkte Erstattungen von Gasrechnungen können nur eine Überbrückung sein, da sie kaum Anreize zum Sparen bieten und nicht zielgenau sind. Es zeigt sich, dass jegliche Preisbremsen nur sinnvoll zusammen mit direkten Transferzahlungen an Menschen mit geringen Einkommen und exponierten Unternehmen sein können. Die Vorschläge der Kommission können nur ein Element der Entlastung der Menschen sein. Je zögerlicher nun die Bundesregierung handelt, desto teurer wird eine Lösung aussehen und desto größer wird auch das Risiko einer Gasknappheit im Winter sein.‘‘

Thomas Gitzel, Chefsvolkswirt VP Bank

„Die zentrale Botschaft ist: Die Bürger werden über den Winter hinweg mit Ausnahme des Wegfalls des Dezemberabschlags nur begrenzt entlastet. Die eigentliche Gaspreisdeckelung greift erst im Frühjahr. Begründet wird dies damit, dass eine schnellere Umsetzung aufgrund der erforderlichen zahlungstechnischen Umstellung bei den Versorgern nicht gelingt. Doch Gasbezieher sind damit über den Winter hinweg – mit Ausnahme des Dezembers - praktisch der Marktpreisentwicklung ausgesetzt, was die Sparanstrengung maximiert. Ohne nennenswerte Einsparungen gelingt die Sicherstellung der Gasversorgung über den Winter hinweg nicht.

Die Ergebnisse der Kommission sind ein Kompromiss aus marktwirtschaftlichen Elementen und deutlichen Eingriffen des Staates am Gasmarkt. Auch diejenigen Vertreter, die auf die Lenkungsfunktion des Marktpreises setzen, werden zufriedengestellt. In den normalerweise kältesten Monaten des Jahres Januar und Februar sind Gaskunden den Marktpreisen ausgesetzt, was wiederum Sparbemühungen maximiert.‘‘

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