Beobachter erwarten kein baldiges Ende der sinkenden Kurse an den Finanzmärkten. „Um aus der Bärenmarkt-Rallye eine nachhaltige Aufwärtsbewegung zu machen, müssten die weltweiten Konjunkturdaten wieder verstärkt überraschen, um dem aktuell fundamentalen Gegenwind entgegenzuwirken“, sagte Robert Halver von der Baader Bank. Doch das breite Spektrum an untereinander verbundenen Risiken wie der Ukraine-Krieg, Zinsangst, chinesische Null-Covid-Politik oder Lieferkettenprobleme mache den Börsen zu schaffen. „Fundamental sind die Perspektiven wenig erhellend.“
Laut dem technischen Marktanalysten Christoph Geyer verunsicherten die angekündigten Zinserhöhungen die Marktteilnehmer. „Daher ist zwar mit einer Stabilisierung und gegebenenfalls auch einer Erholungsbewegung zu rechnen, eine nachhaltige Trendwende nach oben ist gleichwohl kaum zu erwarten.“
Zum Ende der vergangenen Woche schlossen die deutschen und amerikanischen Börsen mit tiefroten Zahlen. Die Inflation stieg in den USA auf 8,6 Prozent, wie am Freitag bekannt wurde. Ökonomen hatten mit 8,3 Prozent gerechnet. Außerdem mussten Weltbank und OECD die Prognose für das globale Wirtschaftswachstum deutlich senken - von 4,1 auf 2,9 Prozent beziehungsweise von 4,5 auf 3 Prozent.
Sorge vor neuer Euro-Krise
Robert Halver sieht auch die Gefahr einer neuen Euro-Schuldenkrise keineswegs gebannt. Die EZB werde die Zinserhöhungen langsam angehen, vermutet er, denn die europäische Kette sei nur so stabil wie ihr schwächstes Glied. „Und es gibt einige muskelschwache Länder. Würde man ihnen das Stützkorsett der geldpolitischen Planwirtschaft komplett wegnehmen, geriete so manches überschuldete romanische Euro-Land in arge Finanznot.“ Die Sorge darüber zeige sich bereits an den Finanzmärkten: Die Zinsspannen dieser Länder habe sich zu deutschen Zehnjahres-Staatsanleihen binnen sechs Monaten ungefähr verdoppelt. „Würde sich diese Entwicklung fortsetzen, riskierte man im Extremfall die nächste Schuldenkrise.“
Am Mittwoch verkündet nun die FED, um wie viel Prozentpunkte der US-Leitzins weiter steigen wird. Die Mehrheit der Beobachter rechnet mit einem Anstieg von 0,5 Prozentpunkten. Damit läge der Leitzins in der Spanne von 1,25 bis 1,5 Prozent.
Wie die Märkte auf die Zinserhöhung reagieren, dürfte vom Tempo der Zinsanstiege abhängen. Anhebungen von 0,5 Prozentpunkten dürften bereits eingepreist sein, aber ein Anstieg von 0,75 Prozentpunkten könnte für neue Unruhe sorgen. „Zinserhöhungen um 50 Basispunkte pro Sitzung sind die neue Normalität“, fasst Patrick Franke von der Helaba zusammen. Seine Begründung: „Obwohl sie den Spielraum hatte, bewegte sich die Fed 2021 erst mal gar nicht und dann nur im Schneckentempo.“ Das räche sich nun: Die schnellere, stärkere Straffung berge erhebliche Rezessionsrisiken für 2023 und 2024.
„Deutsche Goldnachfrage übertrifft Rest der Länder“
Derweil flüchten die Anleger wieder vermehrt in Gold. Der Preis stieg am Freitag auf US-Dollarbasis um 1,2 Prozent an, nachdem das Arbeitsministerium die neuen Inflationszahlen verkündet hatte. Auch die private Investmentnachfrage zieht laut Zahlen von BullionVault an. In westlichen Ländern habe sie so hoch gelegen wie seit 12 Monaten nicht mehr, teilte der Edelmetallhändler mit. „Die deutsche Goldnachfrage übertrifft nach wie vor den Rest der reichen westlichen Länder“, sagte der Mitarbeiter Adrian Ash. Ursachen sind laut Ash die Inflation, der Ukraine-Krieg und der in den vergangenen Wochen rückläufige Goldpreis.
Gold hat sich seit Jahresbeginn mit am stärksten von allen Anlageklassen entwickelt. Bis 6. Juni stieg der Preis auf Eurobasis um 8,9 Prozent. Silber verbuchte ein leichtes Plus von 0,9 Prozent. Hingegen fielen die Kurse von US-Staatsanleihen (-5,5 Prozent) und Bundesanleihen (-7,5 Prozent). Tief im Minus stehen auch der US-Aktienindex S&P 500 (-11,9 Prozent), der chinesische Aktienindexes CSI 300 (-12,9 Prozent), der Dax (-13,4 Prozent) und Bitcoin (-33,7 Prozent). (dpa/eli)