Der China-Experte Sebastian Hellmann rechnet mit einem Ende des Supermacht-Status der USA. „Der Angriffskrieg Russlands gegen sein unmittelbares Nachbarland ist ein geopolitischer ,Game Changer‘, der ohne jeden Zweifel eine geoökonomische Zeitenwende heraufbeschwört“, schreibt der Professor der Universität Trier in einem Thesenpapier. Der Krieg beschleunige den Rückbau der internationalen Zusammenarbeit und Arbeitsteilung. Und er zeige: Wirtschaftliche Verflechtungen würden zunehmend als geopolitische Waffe eingesetzt, mit unvorhergesehen Kettenreaktionen für die Finanzmärkte, Energie- und Rohstoffversorgung sowie für Datennetze.
Laut Heilmann werden die Großmachtrivalitäten mindestens die laufende Dekade prägen. Am Ende stehe eine bipolare oder sogar multipolare Weltordnung - zum Beispiel mit den beiden Machtzentren USA im Westen und China im Osten, wobei Russland ein Juniorpartner Chinas werden könne. Auch Anleger seien gezwungen, sich anzupassen.
Was ist mit „Neuer Weltordnung“ gemeint?
Laut dem Hedgefonds-Manager Ray Dalio folgt der Aufstieg und Niedergang von Großmächten oft dem gleichen Muster. In seinem Buch „Weltordnung im Wandel“ hat der Multimilliardär die Weltmächte der letzten 500 Jahre untersucht, nämlich China, gefolgt von den Niederlanden, Großbritannien und den USA. Dabei hat er festgestellt: Auf- und Abstieg einer führenden Großmacht dauere in der Regel 250 Jahre und ende in einer circa 10 bis 20 Jahre langen Übergangszeit, in der die alte Weltmacht durch eine neue abgelöst werde. Diese Übergangsphase sei eine Zeit von intensiven Konflikten bis hin zum Krieg zwischen den Gegenspielern - bis sich schließlich eine „neue Weltordnung“ etabliert habe.
Dalio sieht ein solches Übergangzeitalter im derzeitigen Abstieg der USA und dem Aufstieg Chinas. Die Gefahr einer militärischen Eskalation sei darum erhöht, schreibt er und vermutet: „Weil China und die USA auf absehbare Zeit mächtig genug sein werden, um sich gegenseitig inakzeptablen Schaden zuzufügen, sollte die Aussicht einer gegenseitig zugesicherten Vernichtung einen Militärkrieg verhindern, obwohl es mit an Sicherheit grenzender Sicherheit gefährliche Scharmützel geben wird.“
Laut dem Außenpolitik-Experten John Mearsheimer besitzt China bereits heute mehr latente Macht als die Sowjetunion. China verfüge über viermal so viele Einwohner wie die USA und 70 Prozent des BIPs, erklärt der Professor der Universität Chicago in einem Beitrag vom Oktober 2021. Bis 2050 solle China laut Schätzungen immer noch 3,7-mal so viele Bürger zählen. Bei einem pro-Kopf-BIP wie Südkorea wäre das Land dann 1,8-mal so reich wie die USA, und mit Japans pro-Kopf-BIP sogar 2,3-mal. „Peking könnte ein Militär aufbauen, das sehr viel mächtiger wäre als das der USA”, schreibt Mearsheimer.
Gleichwohl steht auch China vor großen Problemen, wie der Sinologe Heilmann erklärt. Der Immobiliensektor und die öffentlichen Haushalte seien hoch verschuldet, was zu Instabilitäten auf den Finanzmärkten führen könne. Viele Lieferketten seien sehr verwundbar, zum Beispiel im Halbleiter-, Energie- und Lebensmittelbereich. Zudem habe das Land eine rapide alternde Bevölkerungsstruktur, was spätestens zum Ende des Jahrzehnts das Wirtschaftswachstum deutlich verlangsamen werde, schreibt Heilmann im Thesenpapier.
Geopolitische Risiken für Anleger
Wie empfindlich geopolitische Konflikte Anleger treffen können, zeigte sich im Ukraine-Krieg. Aufgrund der Sanktionen ist ein erheblicher Teil von russischen Wertpapieren für ausländische Investoren außerhalb Russlands nicht mehr handelbar. Anleger, die in einen Russland-Fonds oder -ETF investiert haben oder russische Aktien halten, kommen entweder gar nicht an ihr Vermögen heran oder müssen die Wertpapiere zu hohen Abschlägen verkaufen.
Auch Welt-ETF-Anleger blieben nicht verschont: Indexanbieter wie MSCI und FTSE Russell entfernten russische Wertpapiere aus den Indizes, weil der Zugang zum russischen Finanzmarkt stark eingeschränkt war. ETF-Anbieter verkauften daraufhin russische Wertpapiere oder schrieben diese auf null ab. Zwar halten sie die Wertpapiere weiterhin, aber wann sie diese am Markt verkaufen können - und zu welchem Preis -, ist ungewiss. Dennoch dürften Welt-ETF-Anleger vergleichsweise glimpflich davonkommen: Etwa hatte Russland im Schwellenländer-Index MSCI Emerging Markets ein Gewicht von gerade einmal 1,6 Prozent, als der Krieg ausbrach.
Sind Gold und Rohstoffe ein guter Diversifikator?
Studien berichten, dass der Goldpreis in geopolitischen Konflikten steigt. Australische Wissenschaftler schreiben sogar in einer Untersuchung, Gold sei das einzige Asset, das vor geopolitischem Risiko schütze. Dazu untersuchten sie, ob der Goldpreis und der sogenannte „Geopolitical Risk Index“ zur gleichen Zeit steigen und fallen. Der Index ermittelt, wie häufig bestimmte Wörter zum Thema Geopolitik in 11 führenden internationalen Zeitungen vorkommen. Er steigt bei Kriegen, internationalen Konflikten und Terroranschlägen in der Regel an.
Das Ergebnis: Bloß Gold stand mit den Änderungen des Index in einem signifikanten positiven Zusammenhang. Die Kurse von Silber, Platin, Palladium, Kupfer und des US-Aktienindex S&P 500 erhöhten sich weniger oft oder kaum, wenn der Geopolitical Index stieg. Dennoch waren die Anstiege des Index meist bloß von kurzer Dauer. Preisanstiege aufgrund von geopolitischem Risiko halten bei Gold also meist nicht lange an. Gleichwohl hat Gold den Vorteil, dass Anleger im Falle von Münzen und Barren keinem Gegenparteirisiko unterliegen und zusätzliche Diversifikation im Portfolio haben, was etwa das Gewicht chinesischer Aktien senkt.
Ein weiterer Diversifikator können Rohstoffe sein, etwa über einen breit gestreuten ETF mit Aktien von Rohstoffproduzenten. Die Aussicht auf längerfristig steigende Rohstoff-Preise, die Angebotsverknappung und die Tatsache, dass Rohstoffanlagen als Inflationsschutz dienen könnten, sprächen für diese Anlageklasse, erklärt etwa Gregor Hirt von Allianz Global Investors in einem Artikel. Einziger Nachteil sei momentan, dass die Rohstoffpreise sehr volatil sein könnten.
Stock-Picker können außerdem Unternehmen wählen, die kein Geschäft in China haben und deren Lieferketten sehr regional ausgerichtet sind. Das könnten beispielsweise Immobiliengesellschaften, Versorger oder Medienunternehmen sein.
Was können passive Welt-ETF-Anleger tun?
ETF-Fans könnten mit China ein geopolitisches Klumpenrisiko im Depot haben. Etwa enthalten die Schwellenländer-Indizes MSCI Emerging Markets und MSCI Emerging Markets IMI (enthält zusätzlich noch small caps) zu knapp 30 Prozent chinesische Aktien. Bei einem klassischen 70/30-Portfolio aus 70 Prozent Industrieländern und 30 Prozent Schwellenländern hätte China also ein Gewicht von rund 10 Prozent.
Passive Sparer können einen Schwellenländer-ETF ohne chinesische Aktien kaufen, etwa auf den Index MSCI Emerging Markets ex China, und den China-Anteil über einen gesonderten MSCI-China-ETF dämpfen. Eine andere Option könnte sein, einen regionalen Schwellenländer-ETF beizumischen, etwa auf den südostasiatischen MSCI AC ASEAN. Außerdem können direkte Immobilieninvestments, Rohstoffe und Gold zusätzliche Diversifikatoren sein.
Ein Schwellenländer-Investment dürfte nicht bloß zur Streuung weiter Sinn machen. Laut dem Sinologen Heilmann werden die USA gezwungen sein, Kompromisse mit Schwellenländern und Rohstoffproduzenten zu schließen, um diese der Einflusssphäre Chinas zu entziehen. Insbesondere gelte dies für Länder des Nahen Ostens wie den Vereinigten Arabischen Emiraten, Saudi-Arabien und Iran, aber auch für lateinamerikanische Staaten (Venezuela) und für südostasiatische Länder (Vietnam). „Diese Kompromiss- und Rivalitätszwänge werden dazu führen, dass eine Reihe von Schwellenländern und Rohstoffproduzenten womöglich sehr von der neuen Konfliktkonstellation profitieren werden, weil sie die USA und China gegeneinander ausspielen können“, vermutet der China-Experte.