Geldanlage

Top-Ökonom: „Fed-Politik führt zu Verwerfungen an den Finanzmärkten“

Lesezeit: 8 min
13.06.2022 16:45
Der Leipziger Ökonom Gunther Schnabl gilt als Experte für die Geldpolitik der EZB und hat in der Vergangenheit auch für die Notenbank gearbeitet. Im Interview mit Altersvorsorge Neu Gedacht spricht er über Inflation, die Gefahr einer neuen Finanzkrise und die Probleme der offiziellen Inflationsmessung. 
Top-Ökonom: „Fed-Politik führt zu Verwerfungen an den Finanzmärkten“
Die Fed verringert seit Juni massiv die Geldmenge. (Foto: iStock.com/Willard)
Foto: Willard

Altersvorsorge Neu Gedacht: Herr Schnabl, die Fed verkleinert seit Juni die Bilanz von neun Billionen US-Dollar. Sie verringert also die Geldmenge. Die letzte Bilanzverkürzung von 2018 hielt die Fed gerade einmal ein Jahr lang durch, bevor sie die Geldschleusen erneut öffnete. Wird die Fed diesmal Ernst machen?

Gunther Schnabl: Das ist eine spannende Frage. Es sind zwei Szenarien denkbar. Szenario 1 – darauf spielen Sie wahrscheinlich an: Durch die Zinserhöhung und Bilanzverkürzung kommt es zu Instabilitäten auf den Finanzmärkten. Die können etwa von den Immobilienmärkten ausgehen, wenn die Preise für Häuser und Wohnungen fallen. Das könnte die Fed zum Anlass nehmen, um die Zinsen wieder zu senken und die Bilanz wieder stark auszuweiten. Das wäre aber auch mit einer andauernden Aussetzung marktwirtschaftlicher Prinzipien verbunden – sprich: weitere Zombiefizierung der Unternehmen, Verstaatlichung von Banken, immer mehr Regulierung etc.

Was wäre dann Szenario 2?

Hier würde die Fed Ernst machen. Sie würde trotz der Instabilitäten auf den Finanzmärkten die geldpolitische Straffung konsequent weiterverfolgen. In der Eurozone halte ich Szenario 1 für wahrscheinlich. Ich bin mir aber nicht sicher, ob die Fed die Geldschleusen wieder öffnen wird.

Christine Lagarde hat ja bereits erklärt, dass die EZB wieder Geld in die Märkte pumpen würde, wenn die Konjunktur deutlich abschwächt.

Ja, die Inflationsrate in der Eurozone ist weit über das Ziel von zwei Prozent hinausgeschossen. Entsprechend groß ist der öffentliche Druck auf Lagarde und die EZB. Darum wird die EZB die Zinsen im Juli leicht erhöhen. Gleichzeitig signalisiert die EZB aber, dass sie sich eine Rückkehr zur alten Geldpolitik offenhält, sollte es zu Instabilitäten kommen. Das sehen wir in der Kommunikation der Fed nicht in dieser Form. Es mehren sich eher die Hinweise, dass man entschlossen ist, die Zinsen noch weiter zu erhöhen.

Aber könnte der Grund nicht sein, dass die Fed die Inflationserwartungen dämpfen möchte, um die Inflation zumindest für den Moment auszubremsen? Aber hinter den Kulissen könnte die Politik Druck machen, die Zinsen bei der erstbesten Möglichkeit wieder zu senken, angesichts der hohen staatlichen Verschuldung.

Ja, aber in den USA ist die politische Lage nicht eindeutig. Die Schulden sind zwar hoch, ein Risiko für einen Staatsbankrott sehe ich hingegen nicht. Außerdem sind die Demokraten bei den Zwischenwahlen aufgrund der hohen Inflation in Bedrängnis. Schließlich scheint man grundsätzlich mehr als in Europa den Marktkräften verpflichtet. Die Politik will offenbar weniger über Subventionen die Preise niedrig halten. Joe Biden versucht hingegen derzeit, den Ölpreis über Verhandlungen mit Saudi-Arabien zu senken. Ebenso denkt man über Zollsenkungen für Importe aus China nach. In Japan subventioniert der Staat bereits sehr umfassend Güter und Dienstleistungen, um die Verbraucherpreise gering zu halten. Das könnte ich mir auch für Europa vorstellen. Für Europa würde das immer mehr Planwirtschaft und damit einen deutlichen Verfall des Wohlstands bedeuten.

Aber würde ein entschlossenes Gegensteuern der Fed nicht zu einer sehr schweren Krise führen? Etwa stehen die Preise von Aktien und Immobilien noch immer relativ hoch aufgrund des vielen billigen Geldes.

Das müssen wir sehen. Die geldpolitische Straffung der Fed wird zu Verwerfungen an den Finanzmärkten führen. Dann dürfte es zum Kräftemessen kommen: Wenn die Fed im Gegensatz zu früheren Episoden nicht nachgibt, müssen sich die Finanzmärkte neu ausrichten. Das dürfte mit Verlusten und Turbulenzen verbunden sein, danach wird es aber wieder aufwärts gehen.

Das heißt, Sie halten es für möglich, dass sich die Fed von der Politik und der Finanzbranche emanzipieren wird.

Ich halte es durchaus für möglich. Ende der Siebzigerjahre übernahm Paul Volcker die Führung der Fed, verkürzte die Bilanz und erhöhte die Zinsen deutlich über die Inflationsrate. Das war sicherlich kein Zufall. Im Hintergrund wird wohl eine entsprechende politische Entscheidung getroffen worden sein – basierend auf der Einsicht, dass es so mit der hohen Inflation nicht mehr weitergehen kann. Die Zinserhöhung der Fed wurde dann durch Reformen unter Präsident Reagan flankiert. Ich hoffe, dass wir einen zweiten Volcker-Moment erleben, der zu einer Art marktwirtschaftlichen Wende führt.

Wäre ein harter Fed-Kurs nicht schlecht für die Eurozone?

Ja, noch mehr Kapital würde von Europa in die USA abfließen. Der US-Dollar würde gegenüber dem Euro weiter aufwerten, was die Konjunktur in den USA stärken würde und die Inflation in der Eurozone nach oben treiben würde. Dann käme Europa in eine wirtschaftlich und politisch schwere Lage.

Droht ein Stagflationsszenario wie in den Siebzigern, als die Fed dreimal die Zinsen senkte und wieder erhöhte, woraufhin die Inflation dreimal anstieg und die US-Wirtschaft in drei Rezessionen fiel?

Stagflation ist in Europa sehr wahrscheinlich. Die EZB kann aufgrund der Vielzahl der Länder im Euro und der hohen Verschuldung einiger Eurostaaten nicht so entschlossen gegensteuern wie die Fed. Deshalb dürfte die Inflation auf Dauer höher ausfallen, was das Wachstum bremsen wird. Wenn die EZB die Zinsen nicht oder nur sehr zögerlich erhöht, hat das weitere negative Wachstumseffekte.

Wie hoch wird die Inflationsrate Ihrer Meinung nach noch steigen?

Das lässt sich nicht sicher voraussagen. Ein hohes Inflationsniveau ist immer mit starken Schwankungen verbunden – wie auch die 1970er-Jahre gezeigt haben. Wenn die Inflationsrate in einem Monat sinkt, bedeutet das noch lange nicht, dass das Inflationsproblem gelöst ist. Nachhaltig fallen wird die Inflationsrate erst, wenn die EZB die Zinsen über die Inflationsrate erhöht und damit den Euro stärkt. Ansonsten kommt der Euro unter weiteren Abwertungsdruck und die Preise von allen importierten Gütern werden steigen, insbesondere von Rohstoffen und Lebensmitteln.

Laut den jüngsten offiziellen Zahlen lag die Inflation im Euroraum nach dem Harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) bei +8,1 Prozent und in Deutschland bei +8,7 Prozent. Sie argumentieren, dass die offiziellen Angaben zu geringgeschätzt sind. Warum?

Das hat drei Gründe. Erstens berücksichtigen Statistikämter seit den 1990er-Jahren vermehrt Qualitätsanpassungen. Steigt die Qualität, wird der Preis entsprechend heruntergerechnet. Sinkt die Qualität, wird theoretisch ein höherer Preis angenommen als der Ladenpreis. Allerdings wird die Qualität überwiegend bei Industriegütern wie Handys oder Computern berücksichtigt, wo sie tendenziell eher gestiegen ist. Die Qualität von Lebensmitteln – etwa in puncto Tierwohl oder Umweltstandards – hat hingegen abgenommen. Bei den Dienstleistungen hat die Selbstbedienung deutlich zugenommen. Das würde eigentlich zu höherer offiziell gemessener Inflation führen, aber die Statistikämter machen bei diesen Gruppen keine Qualitätsanpassung.

Wie lauten die beiden anderen Gründe?

Der zweite Grund ist die Änderungen der Gewichte der einzelnen Güter, mit denen die Inflationsrate berechnet wird. Die Statistikämter gewichten die Güter anhand der sich verändernden Konsumstrukturen. Wenn die Verbraucher also im Schnitt zehn Prozent für Lebensmittel ausgeben, haben diese zehn Prozent Anteil an der gesamten Inflationsrate. Das Problem entsteht, wenn die Verbraucher bei sinkenden verfügbaren Einkommen und Inflation von teuren zu billigen Gütern wechseln. Es werden dann beispielsweise weniger Regale aus Vollholz und mehr Regale aus Pressspan mit Plastikfolie zum Selbstaufbau gekauft. Wenn das Gewicht von billigen Gütern mit geringeren Preissteigerungen im Zeitverlauf im Index steigt, dann wird die Inflation niedriger gemessen. Drittens berücksichtigt der Harmonisierte Verbraucherpreisindex (HVPI) von Eurostat nicht die Preise von selbstgenutzten Wohnimmobilien. Der HVPI dient als Entscheidungsgrundlage für die Geldpolitik der EZB.

Gibt es Berechnungen, wie hoch die Inflationsrate ausfallen würde, wenn diese drei Faktoren berücksichtigt würden?

Wir haben am Institut für Wirtschaftspolitik dazu geforscht und auch Gespräche mit dem Statistischen Bundesamt geführt. Wir haben gefragt, ob man uns den Index ohne Qualitätsanpassungen und ohne Gewichtsanpassungen bereitstellen könne. Das hat das Statistische Bundesamt verneint. Laut der Europäischen Zentralbank wäre die Inflationsrate seit einigen Jahren um 0,2 bis 0,3 Prozentpunkte höher gewesen, wenn selbstgenutzte Wohnimmobilien im HVPI enthalten gewesen wären. Allerdings ist der Index für selbstgenutztes Wohnen, auf den sich die EZB beruft, fragwürdig. Er berücksichtigt in Deutschland überwiegend die Baupreise, die bis vor Kurzem nur schwach gestiegen sind, überraschenderweise aber nicht die stark gestiegenen Wohnimmobilienpreise.

Was war die Begründung des Statistischen Bundesamts, warum man Ihnen die Berechnungsdaten zur Inflationsrate nicht bereitstellt? Es ist doch in der Wissenschaft üblich, dass man Daten zu Studien und so weiter veröffentlicht.

Das Statistische Bundesamt meinte, sie hätten die Rohdaten nicht vorliegen.

Sollte das Statistische Bundesamt transparenter vorgehen und die Daten veröffentlichen, damit auch andere Wissenschaftler die Berechnungen nachvollziehen und kritisieren können?

Ja, die Qualitäts- und Gewichtsanpassungen sind eine Blackbox. Zumindest bei den Wohnimmobilien hat die EZB eine Diskussion angestoßen. Letztendlich ist es aber eine Entscheidung der Regierungen im Euroraum, welche Güter wie in die Inflationsrate einfließen, und nicht der Statistikämter oder der EZB.

Haben Sie zum Schluss noch einen Tipp für Anleger, wie sich diese vor Inflation schützen können?

Das ist eine schwere Frage. Aktien und Immobilien sind als Sachwerte in gewisser Weise inflationsresistent. Allerdings ist deren Preis aufgrund des billigen Geldes sehr stark angestiegen. Kommt eine geldpolitische Straffung, dann könnte ein starker Preisverfall die Folge sein. Am besten ist es, breit zu streuen und nicht alle Eier in einen Korb zu legen. Das Portfolio sollte also nicht bloß aus Aktien und Anleihen bestehen, sondern könnte auch Immobilien oder Gold enthalten. Trotz der großen Turbulenzen bleibt Bitcoin eine Alternative, weil es im Gegensatz zu den Papierwährungen ein glaubwürdiges Knappheitsversprechen hat.

Zur Person: Gunther Schnabl hat seit April 2006 den Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik der Universität Leipzig inne und leitet das dortige Institut für Wirtschaftspolitik. Zuvor arbeitete er als Advisor bei der Europäischen Zentralbank. Laut der wissenschaftlichen Datenbank IDEAS ist er weltweit unter den Top-5-Prozent der Ökonomen.

***

Elias Huber arbeitet als freier Journalist in Frankfurt am Main und schreibt vor allem über Konjunktur, Edelmetalle und ETFs sowie die ökonomische Lehre der Österreichischen Schule. 

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