Japan gilt als ein Land mit chronischem Niedrigwachstum. Seit dem Jahr 1991 wuchs das reale BIP um gerade einmal 0,2 Prozent pro Jahr. Die Inflation war mit 0,4 Prozent pro Jahr äußerst gering.
Gleichzeitig fiel der japanische Aktienmarkt vom Allzeithoch im Dezember 1989 regelrecht ins Bodenlose - um 60 Prozent in zweieinhalb Jahren. In den Jahren 2003 und 2008 notierte der Nikkei 225 sogar über 80 Prozent unter dem Allzeithoch. Beobachter sprechen gerne von zwei verlorenen Jahrzehnten. Erst im Jahr 2013 zogen die Kurse wieder an und stiegen zwischenzeitlich auf über 30.000 Punkte. Das ist dennoch weit weg vom Allzeithoch von circa 38.900 Punkten.
Warum stagniert Japan?
Laut dem Ökonomen Gunther Schnabl liegt das vor allem an der falschen Geld- und Fiskalpolitik Japans. Die Bank of Japan habe in den Achtziger Jahren deutlich die Zinsen gesenkt und die Geldmenge ausgeweitet. Das habe zu einer Blase an den Aktien- und Immobilienmärkten geführt. Die Bank of Japan habe mit Zinserhöhungen gegen Ende der Achtziger reagiert, um die Luft aus der Blase zu lassen. Das habe die Kurse einstürzen lassen, schreibt der VWL-Professor in einer Studie.
Der japanische Staat habe anschließend Konjunkturprogramme aufgelegt, um die Wirtschaft zu stabilisieren. Japan errichtete vor allem Infrastrukturen wie Häfen, Straßen oder öffentliche Gebäude. Außerdem senkte die Bank of Japan gegen Mitte der Neunziger Jahre erneut die Zinsen. Es entstanden immer mehr Zombiefirmen - also unrentable Unternehmen, die bloß durch Subventionen und billiges Geld am Leben erhalten wurden. „Die Kreditvergabe an den privaten Sektor wird von der Rentabilität von Investitionsprojekten entkoppelt“, bemerkt Schnabl.
Die Staatsschulden stiegen infolge deutlich an. Bereits im Jahr 2012 betrugen sie 235 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Ab 2013 verfolgte Japan unter dem Premierminister Shinzo Abe sogar eine noch expansivere Geld- und Fiskalpolitik. Zwar zogen die Immobilien- und Aktienpreise infolge an, doch das Land konnte sich nicht von dem chronischen Niedrigwachstum befreien.
Droht der Eurozone ein japanisches Szenario?
Der Ökonom Thomas Mayer hält zwar wirtschaftliche Stagnation in der Eurozone für wahrscheinlich, aber erwartet keine so geringe Inflation wie in Japan. Der japanische Staat verhindere mittels Preiskontrollen, dass die Verbraucherpreise zu sehr ansteigen würden - etwa bei den Strompreisen und im Öffentlichen Nahverkehr. Außerdem hätten die japanischen Zinsen seit dem Jahr 1971 über der Inflation gelegen. „So stieg die Nachfrage nach Geld als Wertaufbewahrungsmittel“, erklärt Mayer in einem Interview. In Europa sind die Realzinsen aber tief negativ.
Auch Thorsten Polleit hält ein Stagflations-Szenario - also niedriges Wachstum bei hoher Inflation - für wahrscheinlicher als eine Japanisierung. Dennoch sieht der Chefvolkswirt der Degussa Goldhandel Parallelen. Zwar seien die Aktienkurse derzeit nicht annähernd so überbewertet wie an den japanischen Börsen im Jahr 1989. Aber es gebe „durchaus Risiken, dass die Aktienmärkte in der westlichen Welt einer Phase stagnierender oder gar fallenden Kursen entgegengehen könnten“, sagt er.
Etwa drohe die grüne Politik, den westlichen Volkswirtschaften gewaltige Wohlstandseinbußen zu bescheren und die Aktienkurse abzusenken. Auch eine chronische Phase der Hochinflation könnte die Unternehmensbewertungen drücken, erklärt Polleit.
Wie können Anleger reagieren?
Polleit schlägt vor, physisches Gold ins Portfolio zu mischen. „Nach meiner Einschätzung ist Gold (und auch Silber) derzeit kräftig unterbewertet“, sagt er. „Zu aktuellen Preisen gekauft, hat das Gold daher gute Chancen, sich für das Portfolio des langfristig orientierten Anlegers als renditesteigernd und risikomindernd zu erweisen.“
Der Liechtensteiner Vermögensverwalter Incrementum empfiehlt ebenfalls Edelmetalle, rät aber auch zu Rohstoffinvestments. Diese hätten sich wie Gold und Silber in Stagflationsphasen äußerst stark entwickelt. Klassischen Aktien-Anleihe-Portfolios drohten „ungewöhnlich hohe Verluste“, schreiben die Fondsmanager im „In Gold We Trust“-Report 2022. „Nur ausgewählte Sektoren wie beispielsweise Minenaktien oder Rohstofftitel konnten sich der negativen Gesamtentwicklung entziehen.“
Der Rohstoff-Experte Sebastian Hell rät von einem Investment in Rohstoff-Futures ab. „Ich habe sehr lange Rohstoffe über Terminkontrakte gehandelt und kann daher ein Lied von Anlegern singen, welche ‘nur’ ein bis zwei Jahre in Rohstoffe investieren wollten und dann bitterlich enttäuscht waren, aufgrund der schlechten Performance“, schreibt er in einem Newsletter.
Dies liege an den Rollkosten: Termin-Kontrakte hätten nämlich eine festen Verfall und müssten verlängert werden. Bei jeder Transaktion verliere der Anleger Geld, weil der nachfolgende Kontrakt höher notiere als der auslaufende. Dieser Contango-Effekt koste Performance. Wer über längere Zeiträume in Rohstoffe investieren wolle, solle darum einen ETF mit Aktien von Rohstoffproduzenten kaufen, etwa auf den Index STOXX Europe 600 Basic Resources.
Stock-Picker könnten sich einzelne Rohstoffproduzenten ins Portfolio legen, meint Hell, der den Youtube-Kanal „Hell investiert“ betreibt. Der Nachteil von Rohstoffaktien sei gleichwohl, dass sie nicht bloß die Bewegung der Rohstoffpreise abbildeten, sondern auch des Gesamtmarkts. In einer Rezession kann das ein Risiko sein.
Der Vermögensverwalter Incrementum schlägt außerdem Währungen und Staatsanleihen von rohstoffexportierenden Ländern sowie Minenaktien vor. Eine weitere Option seien inflationsindexierte Anleihen, wobei diese an die offizielle Inflationsrate gekoppelt seien, die zu niedrig ausgewiesen werde. Besonders ungewiss sei, wie sich Kryptowährungen in einer Stagflation entwickelten. Zwar seien diese immer mehr mit den Technologienwerten korreliert, aber nicht inflationierbare Kryptos wie Bitcoin könnten sich zu einem Wertspeicher entwickeln, schätzt Incrementum.
Was können passive ETF-Anleger tun?
Neben inflationssensitiven Assets wie Edelmetalle oder Rohstoffen können ETF-Fans auf den Sparplan-Effekt setzen. Wer etwa im Allzeithoch von 1989 in den japanischen Aktienmarkt eingestiegen wäre und regelmäßig einen ETF auf den MSCI Japan Net Total Return Index bespart hätte, hätte eine Rendite von 3,8 Prozent pro Jahr erzielt, wie Zahlen des Publizisten Christian Röhl zeigen.
Der Grund: In der Vermögensaufbau-Phase ist es von Vorteil, wenn die geringen Renditen möglichst früh anfallen. Hohe Renditen sollten erst ganz am Schluss der Vermögensaufbau-Phase kommen, wenn das Portfolio bereits deutlich gewachsen ist. Diese können ein Aktienvermögen dann rasch ins Positive heben.
Umgekehrt bedeutet das aber auch: Stagnierende Aktienmärkte in einer Stagflation sind gerade für die passiven Anleger gefährlich, die sich kurz vor oder am Anfang der Entnahmephase befinden. Diese könnten in den kommenden Jahren von einer Portfolio-Restrukturierung profitieren.