Die Federal Reserve verkürzt seit Mai die 8,6 Billionen US-Dollar schwere Bilanz. Seit dem Höchstwert im April ist die Bilanzsumme um 4,2 Prozent gesunken. Die Fed verkauft Wertpapiere wie etwa Staatsanleihen, was dem Markt Liquidität entzieht und die Zentralbank-Geldmenge verringert.
Dennoch rechnen Experten nicht mit fallenden Preisen, also Deflation. Etwa hält der VWL-Professor Philipp Bagus anhaltende Inflation in der Eurozone für wahrscheinlicher.
Bagus hat zum Thema Deflation promoviert und gilt als Euro-Experte. Der Ökonom der Universität Rey Juan Carlos in Madrid unterscheidet zwischen vier Deflationsarten: Erstens gebe es Kassenhaltungsdeflation, wenn nämlich die Geldnachfrage steige, dadurch Geld knapper werde und die Preise fallen würden. Zweitens gebe es staatlich verursachte Deflation, wenn der Staat das Geldangebot einschränke, etwa durch das Einfrieren von Bankkonten.
Deflation als natürliche Entwicklung
Der dritte Typus sei die Wachstumsdeflation. „Sie entsteht, wenn die Gütermenge rascher wächst als die Geldmenge“, erklärt Bagus im ANG-Gespräch. Zuletzt gebe es auch eine Kreditdeflation, wenn nämlich die Banken in einer Finanzkrise die Kreditvergabe einschränken und dadurch die gesamtwirtschaftliche Nachfrage und somit die Güterpreise fallen.
Bagus sieht in der Wachstumsdeflation eine „normale und natürliche Entwicklung“. Etwa sanken im 19. Jahrhundert unter dem Goldstandard in vielen Ländern leicht die Preise, etwa im Deutschen Reich oder den Vereinigten Staaten. Die Bürger konnten sich von Jahr zu Jahr mehr von ihrem Einkommen leisten.
Auch die Kreditdeflation sei gesamtwirtschaftlich gesehen keineswegs gefährlich, erläutert Bagus. Sie sei vielmehr eine „natürliche Folge“ der vorherigen ungedeckten und übermäßigen Geldschöpfung der Zentralbanken und Geschäftsbanken. Diese führe nämlich zur Fehlleitung von Kapitalgütern und Arbeitskräften. Die Krise und der Einbruch der Güterpreise stellten eine notwendige Bereinigung dar und würden die Volkswirtschaft wieder auf einen Gesundungspfad zurückbringen.
Kreditdeflation ist gefährlich
Eine schwere Kreditdeflation wie etwa die Weltwirtschaftskrise von 1929 hält Bagus in den kommenden Jahren für unwahrscheinlich. „Wir hätten im Jahr 2008 beinahe eine schwere Kreditkontraktion gehabt, aber die Staaten und Zentralbanken sind mit viel Liquidität eingesprungen, um eine Bereinigung zu verhindern“, erklärt der Professor. „Ich gehe davon aus, dass dies wieder passieren wird.“
Eine Gefahr ist für Anleger weniger die Wachstumsdeflation, von der vor allem liquide Anlagen wie Bankguthaben und Bargeld profitieren, sondern vielmehr die Kreditdeflation. Die Kurse von Vermögensgütern fallen dann nämlich, etwa von Aktien und Immobilien. Unternehmen, Staaten oder Banken können schlimmstenfalls bankrottgehen und entsprechende Wertpapiere oder Bankguthaben wertlos werden.
Der Finanzexperte Hartmut Walz hält vor allem Anleihen und Gold für einen guten Schutz in einem solchen Szenario. Zwar würden auch die Kurse von Gold und Anleihen zu Krisenbeginn nachgeben, schreibt er in einem Artikel. Das liege allerdings daran, dass Investoren Wertpapiere auf Kredit gekauft hätten und nun das geliehene Geld zurückzahlen müssten oder höhere Darlehenszinsen fällig würden. Die Renditen von Anleihen und Gold würden aber mit Verzögerung steigen, wie etwa der Corona-Crash gezeigt habe.
Anleihen und Cash
Eine aktuelle Untersuchung berichtet ebenfalls, dass sich Anleihen und liquide Anlagen wie Tagesgeld in Deflationen stark entwickeln. Die Forscher der Erasmus-Universität Rotterdam analysierten Daten über die globalen Aktien-, Devisen- und Anleihenmärkte von 1875 bis 2021. Demnach erzielten Aktien eine Rendite nach Abzug der Inflation von +2 Prozent, wenn die Inflationsrate in einem Jahr unter null lag. Deutlich besser entwickelten sich Cash (+6,3 Prozent) und globale Anleihen (+8,2 Prozent).
Die Forscher untersuchten zudem die einzelnen Deflationsperioden genauer. Etwa erzielten Cash und Anleihen in einem Deflationsjahr auch dann Zugewinne, wenn die Aktienkurse fielen (+6,9 bzw. +8,1 Prozent). Stiegen die Zinsen, entwickelten sich Cash und Anleihen ebenfalls positiv, während Aktien eine negative Realrendite erzielten. Anleihen und Cash können also vor einer Kreditdeflation schützen, weil diese durch Zinserhöhungen der Notenbanken ausgelöst werden kann beziehungsweise weil in einer Kreditdeflation die Aktienkurse fallen.
Bei den Aktien schnitten Value-Titel am schwächsten ab, wenn die Inflationsrate in einem Jahr unter null lag (+2,1 Prozent reale Rendite). Am stärksten waren hingegen die Faktorprämien Low Risk (+6,4 Prozent), Momentum (+6,1 Prozent) und Quality (+5,4 Prozent). Hingegen liegen in deflationären Jahren mit sinkenden Aktienkursen oder steigenden Zinsen Momentum (+19,1 bzw. +13,1 Prozent) und Value (+8,0 bzw. +14,1 Prozent) vorne. ETF-Fans könnten also einen ETF auf den MSCI World Value oder MSCI World Momentum kaufen, um sich vor Kreditdeflation zu schützen.
Unternehmensanleihen und Minenaktien
Der Fondsmanager Ronald Stöferle schlägt zudem Anleihen von als sicher geltenden Staaten vor. Auch Rentenpapiere von stabil aufgestellten Unternehmen könnten von deflationären Phasen profitieren, schreibt er in einem Artikel. Stöferle nennt als Beispiel „konjunkturresistente Firmen wie Fast-Food-Anbieter, Lebensmittellieferanten, Supermarktbetreiber, Pharmaunternehmen und Streamingdienste“.
Außerdem seien Goldminenaktien in der Deflation Anfang der Dreißiger Jahre gestiegen. Etwa sei Homestake Mining zwischen 1929 und 1935 von 75 auf 500 US-Dollar geklettert. „Allerdings war der stärkste Kursanstieg erst nach Ablaufen der deflationären Periode (1929 bis 1932) und dem plötzlichen Einsetzen von Inflation 1932 bis 1935 zu bemerken“, sagt Stöferle, der Mitautor der alljährlichen Goldstudie „In Gold We Trust“ ist.